aufreger: Warschauer Staatsanwaltschaft: Täter waren nur unzufrieden
Aus Warschau Gabriele Lesser
In Zukunft können Frauen in Polen straflos von polnischen Nationalisten und Rechtsextremen bespuckt, getreten, beleidigt und mit Flüssigkeiten übergossen werden, wenn die Täter eigentlich nur „ihre Unzufriedenheit ausdrücken“ möchten.
Warschaus Staatsanwaltschaft hat jetzt bekannt gegeben, dass sie ihre Ermittlungen in einem Fall einstellt, der im November 2017 Aufsehen erregte. Damals hatten Teilnehmer eines nationalistischen Marschs 14 Frauen angegriffen. Gegen die Organisatoren und nationalistischen Schläger wird kein Strafprozess eröffnet.
Die Frauen hatten sich ihnen an jenem Tag, dem Nationalfeiertag Polens, mit einem Transparent und der Aufschrift „Faschismus stopp“ sowie weiß-roten polnischen Fahnen entgegengestellt. Teilnehmer des Marschs entrissen ihnen das Transparent, traten, schlugen und bespuckten die Frauen, so dass die Ambulanz gerufen werden musste.
Polnische Medien zitieren aus dem Schreiben der Staatsanwaltschaft vom 10. September an die betroffenen Frauen. Danach sehen die Juristen kein „gesellschaftliches Interesse an einer Strafverfolgung der Angreifer“. Deren Ziel sei nämlich keineswegs die Gewaltanwendung gewesen. Vielmehr wollten die Schläger nur ihre „Unzufriedenheit“ darüber ausdrücken, dass ihr offiziell angemeldeter Marsch durch die Frauen gestört wurde.
„Ich habe einen Tritt in den Bauch kassiert und mehrere in den Rücken“, berichtet Kinga Kaminska von der „Staatsbürgern der Republik Polen“. „Ich habe versucht, mit den Händen meinen Kopf zu schützen.“
Nicht nur die 14 Frauen vermuten hinter der Einstellung des Verfahrens eine politische Entscheidung der nationalpopulistischen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS), die inzwischen fast das gesamte Gerichtswesen kontrolliert. Justizminister Zbigniew Ziobro, zugleich auch Generalstaatsanwalt, kann jedes Verfahren an sich ziehen und den ihm unterstehenden Staatsanwälten Weisungen erteilen.
Die drei rechtsradikalen Organisationen, die den Unabhängigkeitsmarsch seit 2015 in Warschau organisieren, gelten gemeinhin als Schlägertruppe, die die Drecksarbeit erledigen. Bei der Frage, ob es sich bei den Parolen der Marschierer wie etwa „Tod den Feinden des Vaterlandes“, „Europa wird weiß sein oder entvölkert“ oder „Reines Blut“ um rassistische Aussagen handelt oder nicht, traut sich die Staatsanwaltschaft kein eigenes Urteil zu: Ein weiterer Gutachter wurde mit einer Expertise beauftragt und die seit zehn Monate laufenden Ermittlungen wurden um weitere drei Monate verlängert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen