arbeitsbedingungen an den unis: Zeitgemäß wie ein Talar
An den Unis rumort es wie vor 50 Jahren – diesmal im Mittelbau
RalfPauli
Jahrgang 1982, ist Bildungsredakteur der taz.
Wenn am heutigen Dienstag die deutschen HochschulrektorInnen in Potsdam zu ihrer jährlichen Herbstkonferenz zusammenkommen, dann werden sie viel Unzufriedenheit und Kritik zu hören bekommen: Rund hundert Protestierende mit Plakaten wollen den Eingang zum Unigebäude versperren. Auch Protestaktionen im Audimax sind geplant.
Für die Rektorinnen und Rektoren wird das Zuhören sicher unangenehm. Denn die ungebetenen Gastredner werden sie verantwortlich machen für eine unzeitgemäße Hochschule, an der, wie in einem der taz vorliegenden Manuskript zu lesen ist, „Angst“, „Abhängigkeit“ und eine „Wettbewerbsideologie“ herrschten. Eine Uni, die erst dann wieder gute Forschung und Lehre garantieren könne, wenn die RektorInnen „Exzellenzterror“ und „Antragswahn“ stoppten und eine „echte Demokratisierung“ ermöglichten.
An deutschen Hochschulen rumort es derzeit gewaltig. Und damit sind nicht lokale Proteste gegen die teilweise Wiedereinführung von Studiengebühren (Uni Freiburg), Panzerdeals mit der Türkei (RWTH Aachen) oder AfD-Hochschulgruppen (Uni Magdeburg) gemeint. Spricht man mit Studierenden, DoktorandInnen und ProfessorInnen, wird schnell klar: Für viele läuft etwas grundlegend falsch im deutschen Hochschulsystem.
Die Stimmung erinnert an die Hochphase der Studentenproteste vor 50 Jahren. Damals trafen zwei Hamburger Studenten mit einem Spruch den Nerv der Zeit: „Unter den Talaren – Muff von 1.000 Jahren“. Das Banner, das die beiden vormaligen AStA-Vorsitzenden am 9. November 1967 im Audimax ausrollten und damit die Talar tragenden Ordinarien vorführten, war ein Aufstand gegen die autoritätshörige Vätergeneration – und läutete das überfällige Ende der professoralen Alleinherrschaft an den Unis ein.
Die Uni Hamburg machte selbst den Anfang und änderte kurz darauf ihr Hochschulgesetz. In der Folge durften Studierende und Assistenten, wie die wissenschaftlichen MitarbeiterInnen damals hießen, gleichberechtigt an den Unigremien mitbestimmen. Prompt wurde gegen den Willen der Professoren ein wissenschaftlicher Mitarbeiter Präsident. Für viele Zeitgenossen eine ungehörige Vorstellung.
Doch ganz haben die ProfessorInnen ihre Privilegien nicht aufgegeben. Als LehrstuhlinhaberInnen verwalten sie auch heute noch Budgets, stellen MitarbeiterInnen ein, betreuen DoktorandInnen, delegieren ihre Arbeit an Habilitanden, entscheiden über Karrieren. Und das ist in Zeiten von Kettenverträgen, Abhängigkeit von Drittmitteln und Akademikerschwemme so unzeitgemäß wie Professoren in Talaren, die in ihren Assistenten bessere Haushaltshilfen sehen.
Das zeigt auch ein Blick auf die Zahlen: Auf eine ordentliche Professur kommen heute 25 Doktoranden, 8 fertig Promovierte (kurz: Postdocs), fünf Habilitierte. Das heißt: Rund 360.000 AkademikerInnen, das sind 93 Prozent des sogenannten Mittelbaus, haben befristete Stellen.
Um auf die strukturellen Missstände aufmerksam zu machen, hat sich Anfang des Jahres das Bündnis Netzwerk für Gute Arbeit in der Wissenschaft (NGAWiss) gegründet. Das Netzwerk steckt auch hinter dem Protest in Potsdam. Seine Mitglieder fordern: das Lehrstuhlprinzip abschaffen, ebenso die Habilitation, ohne die man in Deutschland auf keine Professur berufen wird. Stattdessen soll es unbefristete Verträge bereits nach der Promotion geben.
Doch da geht das Problem schon los: Für die Unis machen sich die vielen Doktoranden und Postdocs nämlich doppelt bezahlt. Denn je mehr Nachwuchskräfte eine Hochschule für sich gewinnen kann, desto mehr Geld bekommt sie vom Land. So sieht es die leistungsorientierte Hochschulfinanzierung vor. Ebenso vom Staat erwünscht und gefördert: dass die Hochschulen mit vielversprechenden Forschungsideen selbst Mittel aus Wirtschaft, Stiftungen oder EU-Projekten einwerben – und so ein international renommiertes Profil aufbauen.
In beiden Fällen dürften die unbefristeten Verträge kaum verschwinden. Dafür sorgt zum einen das Wissenschaftszeitvertragsgesetz, das die Große Koalition eigentlich zum Schutz der JungakademikerInnen überarbeitet hat. Tatsächlich ist es eine Zeitbombe: Das Gesetz verbietet, dass WissenschaftlerInnen länger als sechs Jahre vor und sechs Jahre nach der Promotion an der Universität arbeiten. Wer binnen dieser zwölf Jahre keine Festanstellung ergattert, hat an keiner deutschen Hochschule mehr die Chance auf eine Anstellung. Das Problem wird dadurch verschärft, dass die Zahl der NachwuchswissenschaftlerInnen sprunghaft angestiegen ist. Waren es im Jahr 2000 noch 82.000, die an den Hochschulen auf eine Karriere hofften, so sind es heute 145.000.
Der Staat verhindert auch an anderer Stelle ein Ende der befristeten Verträge: Statt die mangelnde Grundfinanzierung aufzustocken, über die neue Professuren geschaffen werden könnten, lassen Bund und Länder die Hochschulen um bestimmte Fördergelder (Stichwort: Exzellenz-Initiative) gezielt in Wettbewerb zueinander treten. Für Tausende, die über diese projektbezogenen Mittel angestellt sind, heißt das: Keine Aussicht auf Entfristung. Da sind die 1.000 Tenure-Track-Professuren, für die der Bund bis 2032 eine Milliarde Euro investiert, nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Dabei weisen sie den richtigen Weg: Die Tenure-Track-Professuren stellen eine Entfristung in Aussicht und verzichten teilweise auf die Habilitation.
Daran wird wohl auch die nächste Regierung nichts ändern. In den Sondierungsgesprächen haben CDU, CSU, Grüne und FDP nichts Konkretes zur Verbesserung der prekären Arbeitsbedingungen an den Unis erarbeitet. Im Wahlkampf forderte übrigens nur die Linkspartei eine Abschaffung der Lehrstühle zugunsten einer Department-Struktur. So wird es wohl dabei bleiben, dass nur wenige NachwuchswissenschaftlerInnen eine unbefristete Professur ergattern – während Tausende auf dem langen Weg dorthin zermürbt und ausgebeutet werden.
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