arabiata – oder: amnesie in amman von BJÖRN BLASCHKE:
Als bekannt wurde, dass ich mich nach Jordanien verziehen würde, waren einige Leute in Deutschland entsetzt. In genauer Kenntnis von Weltlage und Geografie erklärten sie mir: „Da ist doch Krieg! Ja, willst du dich denn umbringen lassen?!“
Einige andere Menschen, die schon öfter im Nahen Osten umhergereist waren, hielten weitaus weniger zimperlich dagegen: „Hey, warum Amman? Im Westjordanland sterben die Menschen im Krieg. Und du suchst im Ostjordanland den Tod durch Langeweile? Wenn du dich umbringen willst, gibt es durchaus schnellere Methoden!“ Aus dem Kreis dieser freundlichen Freunde stammt auch die Frage: „Amman? Ach, das wird sicher interessant. Gibt es da jetzt eigentlich schon mehr als eine Eselstränke?“
Es wäre müßig, an dieser Stelle über den Mythos Großstadt zu sinnieren: Warum manche Orte öde sind, andere aber die Ars Vivendi repräsentieren, weil sie dies oder das zu bieten haben. Das ist albernes Gerede solcher Menschen, die auch von sich sagen: „Ich lebe in Blablabla!“ Als ob sie woanders nicht auch lebten – und in Blablabla nur wohnten.
In Wirklichkeit sind alle Großstädte Ausländer – überall! Und deshalb will ich eine Kamelreitgerte brechen für Amman: Lediglich in einer kurzen Periode war Amman langweilig. Es handelt sich dabei um den Zeitraum von etwa 250 vor Chr. Damals eroberte der Ptolomäer Philadelphos das im Alten Testament erwähnte Rabath Ammon – bis 1970 nach Chr., als auf der einen Straße von Amman ein zweites Restaurant eröffnet wurde. Plus oder minus 2.220 Jahre – was ist das schon?
Danach entwickelte sich Amman rasant: Erst kam der „Sechstagekrieg“, dann der Krieg im Libanon, schließlich der Golfkrieg … – und mit jedem Krieg siedelten mehr Menschen in Amman. Kurz: Je spannender es außerhalb der jordanischen Hauptstadt wurde, desto mehr Leute suchten die oasische Ruhe von Amman – und produzierten dabei wieder Un-Ruhe. Die Dialektik von Außen- und Innendruck.
Und heute? Heute lebt es sich in Amman wie in jeder großen Stadt dieser Welt. Und die, die von sich behaupten, dass sie in Amman nicht leben könnten, können es wohl auch in keiner anderen Stadt. Zugegeben: Es gibt hier lediglich zehn, elf, zwölf Dutzend Pubs, Cyber- oder auch normale Cafés, Donut-Shops, Discos und was-weiß-ich-sonst-noch. Aber ich habe es noch an keinem Abend geschafft, sie alle zu besuchen. Nur vom Besuch zweier Lokale möchte ich an dieser Stelle ausdrücklich abraten! Das eine ist ein Asien-Restaurant namens „Beyond Rangoun“. Nach dem Ungenuss eines Entencurrys taufte ich es sofort um in „Jenseits des Ragouts“. Die andere Lokalität ist eine Disco, die ich eines Karnevalsdonnerstags heimsuchte. An jenem Abend fühlte ich mich von dem jungen jeansbehosten jordanischen Hopsgemüse permanent angestarrt. Ob es daran lag, dass ich um 23.11 Uhr lauthals ein dreifaches „Amman, Amman, Amman“ ertönen ließ? Oder daran, dass ich als Scheich verkleidet war? Egal, der Schuppen hieß ohnehin „Amnesia“.
Der Autor ist Nahost-Korrespondent der ARD.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen