antisemitismus, popanz etc.: Joachim Kaiser verteidigt Martin Walser in der „Jungen Freiheit“
Verjauchtes Denken
Ganz interessant, derzeit einen Blick in die stramm rechtsnationale Wochenzeitung Junge Freiheit zu werfen. Dort wittert man erkenntlich die Chance, diesen leidigen Vorwurf des Antisemitismus loszuwerden. Die Strategie dabei ist geschickt, wenn auch durchsichtig. Begierig greift die Zeitung jeden aktuellen Antisemitismusvorwurf auf und walzt ihn so lange aus, bis ein Popanz entstanden ist, auf den sich gut einschlagen lässt: der Popanz des allseitigen Antisemitismusverdachts.
Wenn es wohlfeil geworden ist, Antisemitismus zu entdecken – so das Kalkül dahinter –, dann braucht man sich mit dem Vorwurf selbst gar nicht mehr zu beschäftigen. Es reicht, diesbezüglich eine allgemeine Hysterisierung zu konstatieren. Man kennt das Schema: Es handelt sich um die diskursive Figur der Selbstverteidigung durch Disqualifizierung des Gegners.
Was nun den Musik- und Literaturkritiker Joachim Kaiser geritten hat, ausgerechnet in diesem Umfeld Martin Walser zu verteidigen, kann nur er selbst beantworten. Das Ergebnis des in der heutigen Ausgabe der Jungen Freiheit abgedruckten Interviews ist jedenfalls ziemlich peinlich. Nicht nur beteiligt sich Kaiser nun an dem Versuch dieser Zeitung, sich mit Hilfe von Gesprächen mit reputierlichen Intellektuellen aus der Ecke des Rechtspopulismus herauszumanövrieren (in die sie allerdings weiterhin hineingehört) – wie übrigens auch Eckhard Henscheid, der am 7. Juni der Jungen Freiheit als Gesprächspartner zur Verfügung stand. Darüber hinaus trägt Kaiser einiges zur weiteren Entsachlichung der Walser-Debatte bei.
Nicht nur legt er nahe, dass Jan Philipp Reemtsma, der den Antisemitismusvorwurf gegen Walsers neuen Roman kürzlich in der FAZ mit beträchtlichem Aufwand zu untermauern suchte, selbst über antisemitische Muster verfügt (eine Taktik, die Walser selbst schon gegen FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher anwandte). Schwerer wiegt noch, dass Kaiser gar nicht zu bemerken scheint, wie sehr er sich zum Kronzeugen dieser Zeitung macht, das Nachdenken über Antisemitismus und Political Correctness insgesamt zu demontieren.
In Bezug auf die Kritiker Walsers spricht er von „verjauchtem Denken“. Auf die Frage, ob die Vorliebe, „uns gegenseitig des Antisemitismus zu zeihen“, nicht die Neurotisierung unserer Gesellschaft offenbare, antwortet Joachim Kaiser lavierend. Die verfängliche Bemerkung des Interviewers, der im Fall Möllemann ein „übliches, hässliches deutsches Antisemitismus-Gezänk“ sieht, lässt Kaiser unkommentiert.
Man kann wie unsereiner die Antisemitismusvorwürfe gegenüber Martin Walser für nicht gerechtfertigt halten. Aber diese Form, Walser zu verteidigen, ist verfänglich. Es gehörte einfach zuviel Unbedarftheit dazu, um zu übersehen, wen Kaiser mit dem Interview in die Hände spielt: denjenigen, die am liebsten gar nicht mehr diskutieren würden. DIRK KNIPPHALS
Das Interview ist nachzulesen unter www.jungefreiheit.de
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