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■ an die sieben Mitglieder der „Schüler-Jury zum Weilheimer Li teraturpreis 1993“, taz vom 11.11.93

Die sieben SchülerInnen behaupten, in den Texten von Gertrud Fussenegger weder antisemitisches noch sonstwie rassistisches noch auch altfaschistisches „Gedankengut“ zu finden und werfen uns vor, einige Zitate „sinnwidrig“ zu interpretieren. Peinlicherweise widersprechen sie damit

– der von ihnen „geehrte(n) und verehrte(n) Dichterin“, die, von einem Wiener Fernsehjournalisten wegen der kaum stilistisch abgewandelten Beschimpfung des jüdischen Friedhofs in Prag zur Rede gestellt, selbst nur bedauernd zu sagen wußte, sie hätte „die Sensibilität des Publikums nach 45 unterschätzt“;

– ihren eigenen Lehrern, die immer behaupten, daß Gertrud Fussenegger sich von ihrer nazistischen Vergangenheit und ihren damaligen Werken distanziert hätte; sie hat's aber immer nur „dem Publikum“ recht machen wollen und stets nur bedauert, wenn sie Geschmack und Ideologie der jeweils reaktionären Fraktion des Zeitgeists nicht traf.

Die Fussi hat also erstens nix Böses geschrieben und sich zweitens ohnehin von allem distanziert, lautet somit die anmutige Argumentation, mit der die SchülerInnen logische Qualitäten beweisen.

Besonders stolz wäre ich als ihr Lehrer, daß die Kinder schon ebenso schön lügen können wie die Großen: Diese behaupten gern (so der Weilheimer Lehrer Denk im Münchner Merkur und das Bayerische Kultusministerium in Abwehr gegen den Zentralrat der deutschen Juden) die „Mohrenlegende“ wäre von den Nazis verboten worden – und bleiben jede Antwort auf die Bitte um einen Nachweis für ihre Behauptungen schuldig.

Die Schüler wieder behaupten erstens, die rassistischen Stellen in der „Mohrenlegende“ wären sämtlich aus der Sicht von handelnden Personen geschrieben und ließen keinen Rückschluß auf die Gesinnung der Dichterin zu – ohne zu berücksichtigen, wie Frau Fussenegger das Mohrenkind beschreibt, wenn es mit der allwissenden Erzählerin ganz allein ist (zum Beispiel beim heidnischen Tanz), und ohne zu bedenken, daß die Autorin den eigenen Rassismus natürlich auch ins handelnde Personal ihrer Story projiziert, sogar noch in den „Andersrassigen“: Das Mohrenkind empfindet das tirolische Bergdorf, in das es verschlagen wurde, als „die Fremde, die wüste Ödenei, in der das Grauen an allen Ecken lauerte, in der häßlich bleiche Menschen wie wilde Tiere lebten“.

Die rassistische Ideologie der Autorin, an dem „Geschick“ des Mohrenkindes „erhellt sich die unabdingbare wesenhafte Fremdheit zwischen ihm und allem, was weißen Angesichts ist“ (Fussenegger 1939 und 1941), wird zwecks Indoktrinierung der LeserInnen konsequent von beiden Seiten streng plausibel zu machen versucht.

Zweitens behaupten die Schüler, daß es ja keine rassistischen Stellen bei Fussenegger gebe, drittens glauben sie dies auch daraus schließen zu dürfen, daß sie selbst Frau Fussenegger ausgezeichnet haben – offenbar halten die Schüler sich selbst für über allen Verdacht erhaben. Aber viertens haben sie ihren Literaturpreis an Fussenegger „nicht für diese drei“ – doch nach ihrer angeblichen Meinung gleichfalls unverdächtigen „Seiten, sondern für ein 3.000 Seiten umfassendes großartiges Romanwerk (...) verliehen“.

Aber das gehört schon wieder zur lustigen Schüler-Logik, die beweist – hier sehe ich unseren Fehler ein –, daß jegliche Einflußnahme auf die Jury durch Lehrer und/oder Jury-Berater, selbst wenn sie stattgefunden haben sollte, in der Tat unnötig war.

So macht's schon fast nix mehr, daß die Wahl der Fussenegger einen derart schlechten literarischen Geschmack mit fast einstimmig verbohrter Präferenz für die kämpferische Antimoderne beweist. Gerhard Oberschlick,

Herausgeber des „Forum“,

Wien

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