abschiebung vor frist: Rechtsstaat zweiter Klasse
Dass Behörden nicht nach Mitgefühl, sondern nach Gesetzeslage entscheiden, ist hinlänglich bekannt. Die Entscheidung der Ausländerbehörde, einen 16-jährigen Jugendlichen von seinem Vater und seiner Familie zu trennen und zu weitaus entfernteren Verwandten an die Elfenbeinküste abschieben zu wollen, mag man je nach Empathievermögen bedauern. Überraschen muss sie einen, so bitter das ist, nicht.
Kommentarvon ANDREAS SPANNBAUER
Überraschender ist dagegen, dass die Ausländerbehörde, entgegen allen Gerüchten über die in deutschen Behörden vorherrschende Disziplin, sich für die von ihr selbst festgelegten Termine nicht zu interessieren scheint, wenn dies ins eigene Konzept passt: Bereits zwei Tage vor Ablauf der Frist für die Beantragung einer Verlängerung der Duldung und ohne das Vorliegen eines richterlich ausgestellten Haftbefehls hat die Polizei den Jugendlichen aus den Armen seiner Familie gerissen.
Dass der Vater zu diesem Zeitpunkt noch keinen Antrag auf Verlängerung der Duldung eingereicht hatte, mag man angesichts der Brisanz des Problems erstaunlich finden, verboten ist ein solches Verhalten nicht. Schlecht vorstellbar ist, dass gegen deutsche Staatsbürger ähnlich vorgegangen würde, ohne auf öffentlichen Widerspruch zu stoßen – kein Autofahrer muss mit Knöllchen rechnen, bevor seine TÜV-Plakette abgelaufen ist. Fristen sind, und das gilt auch und gerade für Behörden, einzuhalten.
Es ist kein Zufall, dass gerade die Ausländerbehörde einen solchen wenig termingerechten Übereifer an den Tag legt. Der Fall verdeutlicht das doppelte Unglück von Asylbewerbern in der Bundesrepublik. Für sie existieren nicht nur – siehe die schikanöse und europaweit einmalige Regelung der Residenzpflicht – Sondergesetze, die oftmals keinen anderen Sinn haben, als den Betroffenen den Aufenthalt möglichst unangenehm zu gestalten. Selbst bei der Anwendung dieser Gesetze werden sie oftmals nicht nur als Menschen zweiter Klasse, sondern auch als Rechtssubjekte zweiter Klasse behandelt.
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