Zwischenbilanz der Winterspiele: Zuschauer frieren sich den Arsch ab
Dunkel ist es, die Russen nerven und die Holländer fahren Schlittschuh. Man tut sich schwer bei der Suche nach dem gewissen Etwas bei diesen Winterspielen.
Nachtsportspiele
Wenn die Sonne hinter den Bergen von Pyeongchang verschwindet, dann machen sich Biathleten, Rodler und Skispringer fertig für ihren Wettkampf. Sie sind nachtaktive Wesen – wider Willen. Der deutsche Fernsehmarkt will es so, dass sie ihre zirkadiane Periodik den Wünschen der deutschen Ü60-Sofasitzer anpassen. Also stehen olympische Zuschauer bei eisigster Kälte im Flutlicht, frieren sich den Arsch ab und die Sportler schlafen gezwungenermaßen bis Mittag, nur damit die Bilder passend zur Mittagszeit nach Deutschland flimmern.
Dabei könnte alles so schön sein. In Gangneung und Pyeongchang scheint ja jeden Tag die Sonne. Und was gibt es Schöneres für einen Kameramann, als Sportler im gleißenden Sonnenlicht vor der Kulisse von Kunstschnee einzufangen? Und dann beklagen sich die Biathleten auch noch über halbleere Ränge. Aber mal ehrlich: Warum sollte ein Koreaner, der das Skischießen für einen Spleen der Europäer halten muss, um 23 Uhr Erfrierungen ersten Grades an Fingern und Zehen riskieren? Kurzum: Olympischer Nachtsport gehört abgeschafft. Empfohlene Deadline für Außensport: 18 Uhr. (Markus Völker)
Dopolympia
Bei Natalie Geisenberger, der rodelnden Olympiasiegerin, dauerte die Dopingprobe extrem lang, was wohl am miesen Verschluss der Urinfläschchen lag und nicht an Manipulationsversuchen unserer Schlittenfahrerin. Überhaupt ist die Antidopingbilanz bisher ganz im Sinne des Internationalen Olympischen Komitees, dem es um Sauberkeit geht, also um oberflächliche Sauberkeit. Es geht um den schönen Schein, für den nicht zuletzt Dopingkontrolleure und -analytiker mit einer Aufklärungsquote von unter 0,5 Prozent sorgen.
Ein japanischer Shorttracker namens Kei Saito wurde mit einem Maskierungsmittel, dem Diuretikum Acetazolamid erwischt, ein Athlet, der nicht in die Medaillenränge gelaufen wäre. Seine Reaktion: „Ich bin bestürzt, das ist unerklärlich.“ Dann wurde beim russischen Curler (!) Alexander Kruschelnizki das Mittel Meldonium gefunden, eine Substanz, die einst flächendeckend im russischen Sport, übrigens auch von Tennisstar Maria Scharapowa, eingenommen wurde. Was Kruschelnizki, der mit seiner Frau Anastasia Brysgalowa (Bild-Zeitung: „Der heißeste Feger der Spiele“) Bronze im Mixed-Double gewonnen hatte, dazu sagte? „Das ist unerklärlich.“ (Markus Völker)
Stylympia
Zwölf verschiedene Hosen haben die norwegischen Curler mit nach Pyeongchang gebracht. Eine bunter und greller als die andere. Zwölf Hosen, eine neue für jedes Spiel bis zum Finale, die die Curlingbahn zum Laufsteg machen. Bislang sieht es aber so aus, als hätten die Norweger umsonst das Übergepäck bezahlt. Nach drei Niederlagen droht ihnen das Aus – und den Spielen der Verlust ihrer größten modischen Sensation. (Thomas Winkler)
Russki Ski
„Ganz schlecht!“ Das Sportportal Sowjetskij Sport hat die Angst, die umgeht in der russischen Sportwelt, auf den Punkt gebracht. Eigentlich war es ausgemachte Sache, dass die verbannten Russen zum Ende der Spiele wieder aufgenommen werden in die olympische Familie. Die Dopingnation ist auf Bewährung unterwegs. Ein paar unscharf formulierte Bedingungen müssen sie beachten: keine Hymne, keine russischen Farben im olympischen Dorf, anständige Fans und eine nicht allzu nationalistische Berichterstattung.
All das lässt sich im Zweifelsfall im Sinne der Russen interpretieren. Und jetzt das: ein dopender Curler! Kleinlaut sind die Russen geworden. Statt wie üblich auf den Westen zu schimpfen, sagte Präsidentensprecher Dimitri Peskow, man müsse jetzt erst mal abwarten. Der Deal mit dem IOC steht auf der Kippe. Wenn es um Russland geht, geht es weiter um A- und B-Proben, um einen Anwalt namens McLaren, um Geosportpolitik, um Putin und um Lügen. Die Russen werden weiter nerven in Pyeongchang. Man kann das unterhaltsam finden. (Andreas Rüttenauer)
Kurve neun
Liebe Kurve neun, vielen Dank! Ohne dich und deine Unberechenbarkeit, ohne dein Talent für unerwartete Wendungen, ohne deine Abgründe, in der Rodler wie Felix Loch oder Skeletonis wie Janine Flock ihre sicher geglaubten Goldmedaillen versenkten, ohne dich wären die Bahnwettbewerbe bloß, wie sie immer sind: vorhersehbar, langweilig. Nun aber, dank dir, weiß plötzlich auch der Laie, wo er hinsehen muss: nämlich in deine Ausfahrt, wo eine solch gemeine Schikane wartet, dass jeder, der die Ideallinie verpasst, dort so durchgerüttelt wird, dass er alles verlieren kann.
Endlich sieht man mal was: Statt ewig uniform durch den Eiskanal flitzender Presswürste – echte Fehler, heftige Anbandler und erkennbare Unterschiede. Mit dir als Damoklesschwert, das über den Athleten hängt, freut man sich sogar auf die Bobs, die sonst bloß wegen der Jamaikaner zum Anschauen waren. Aber du, tapfere Kurve neun, hast selbst Sportarten, die bisher nur von Fans gleichmütiger Monotonie zu ertragen waren, in Dramen von klassischer Dimension verwandelt. Du hast Rodel, Bob und Skeleton das zurückgegeben, was Sport erst zum Sport macht: dass man nicht weiß, wie’s ausgeht. Danke, Kurve neun, vielen Dank! (Thomas Winkler)
Edelmetallzählerei
Die Niederlande ist die drittbeste Wintersportnation der Welt – glaubt man dem Medaillenspiegel zur Halbzeit der Spiele. 13-mal Edelmetall holte Team Oranje. Während Team D Skier, Rodelschlitten und Gewehre nach Pyeongchang transportieren musste, reichen den Holländern ein paar Schlittschuhe. Für die Niederlande sind fast ausschließlich Eisschnellläufer und -läuferinnen am Start. Die haben ordentlich zu tun – 1.000 Meter, 5.000 Meter, 1.500 Meter, Sprint, Männer, Frauen, Staffel.
In der Halle lassen sich so einige Medaillen gewinnen, dafür braucht es noch nicht einmal Schnee. Deutschland gewann in sieben unterschiedlichen Sportarten Medaillen, aber hat nur ein paar Plaketten mehr als die Niederlande. Für die nächsten Olympischen Spiele sollte der DOSB deshalb auf mehr Wettbewerbe im Rodeln drängen. Wie wäre es mit Dreisitzer, Sprint und Marathon? (Saskia Leidinger)
Momentumaufnahme
Die Spiele laufen so reibungslos wie ein Hyundai-Diesel. Alles ist ziemlich perfekt organisiert, ein Rädchen greift geräuschlos ins andere. Trotzdem fehlt ein zündender Funke, der aus diesen Winterspielen mehr macht als nur eine Ansammlung von olympisch aufgepeppten Weltmeisterschaften. Alle sporteln so ein bisschen nebeneinander her. Das Publikum nimmt all das wohlwollend zur Kenntnis, gibt sich Mühe im Gutfinden von exotischen Sportarten.
Aber: Es fehlt das Momentum, wie der US-Amerikaner sagt, das große Gemeinsame, Identitätstiftende. Es fehlt auch eine olympische Agora, wo das Publikum nicht nur die Sponsoren, sondern auch sich selbst feiert: Die Medal Plaza ist es nicht und auch der Olympiapark (vulgo: Sponsorenmeile) nicht. Zu Beginn der Spiele schien es so, als könnte die Politik die Spiele beseelen. Nord- und Südkorea bildeten ein gemeinsames Eishockeyteam.
Raketen-Kim schickte seine Schwester und eine Jubeltruppe in den Süden. Die Weltpolitik schien sich mit dem Weltsport zu vermählen. Aber auch dieser Zauber der Annäherung ist verflogen, hat doch Südkoreas Präsident Moon Jae In zugegeben, der Entspannungsprozess habe nur dazu gedient, friedliche Spiele abzusichern. Nach den Spielen könnte es sehr schnell wieder so sein wie vorher: verfahren und unversöhnlich. (Markus Völker)
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