Zwischenbericht der Enquetekommission: Gut, dass wir drüber geredet haben
Seit einem Jahr beraten sich Politiker, Netzbürgerrechtler und Lobbyisten in der Internet-Enquetekommission. Nun wollen sie einen Zwischenbericht beschließen.
Den Politsprech haben sie sich noch nicht angewöhnt. Während viele Abgeordnete nach einem Jahr Internet-Enquetekommission Worte wie positive Bilanz und konstruktiver Atmosphäre bemühten, vergleicht Socialmedia-Beraterin Nicole Simon die Arbeit der Abgeordneten mit dem Tanzen nach strengem spanischem Hofprotokoll - und Blogger Markus Beckedahl fühlt sich an Tetris erinnert bei Versuchen, ohne Diskussion zwei unterschiedliche Positionen in einem Kompromisstext zu vereinen.
Seit Mai 2010 sitzen Simon und Beckedahl als zwei von insgesamt siebzehn Sachverständigen in der Internet-Enquetekomission. Reden mit Bundestagsabgeordneten darüber, wie sich das Internet auf Politik und Gesellschaft auswirkt. Auf den ersten Blick ein Riesenfortschritt, wenn man bedenkt, dass es keine zwei Jahre her ist, dass eine Gruppe von Usern Politiker als "Internetausdrucker" beschimpfte, als die nicht verstanden konnten oder wollten, was so falsch sein soll an Internetsperren im Kampf gegen dokumentierten Kindesmissbrauch. Trotzdem benutzt Beckedahl häufig das Wort "Zeitverschwendung", wenn er über die Arbeit in dem Gremium spricht. "Ich bin nicht abgegessen, aber die große Motivation vom Anfang ist dem Realismus gewichen", sagt her.
Heißt: In der Praxis ist der Dialog häufig zäh. Zu groß sind die Meinungsverschiedenheiten zwischen all denen, die dort zusammensitzen - zwischen Regierung und Opposition, zwischen Musikverbandschef und Blogger, zwischen Digitaldatenschützer und Internetwirtschaft. Trotzdem will die Enquetekommission heute einen Zwischenbericht verabschieden - zu den ersten vier fertig diskutierten Themen nach über einem Jahr Arbeit. "Das wird noch mal eine haarige Geschichte, da wird es hoch hergehen", sagt Constanze Kurz, Sprecherin des Chaos Computer Clubs (CCC) und ebenfalls Sachverständige in der Kommission. Eine Einschätzung, die viele in der Enquetekommission teilen - sind doch gerade zu Beginn umstrittene und aktuelle Themen verhandelt worden.
Das Gremium: Von Union, SPD, FPD und Grünen wurde am 5. Mai 2010 die "Enquete-Kommission Internet und digitale Gesellschaft" eingerichtet. Ihr Zweck: Auswirkungen des Internets auf Politik und Gesellschaft untersuchen und parteiübergreifend politische Handlungsempfehlungen zu entwickeln. In der Kommission sitzen 17 Parlamentarier aus allen Fraktionen - plus 17 Sachverständige, darunter Wirtschaftsvertreter wie der Bitkom-Chef Bernhard Rohleder, Wissenschaftler, aber auch Netzbürgerrechtler. Am Montag stimmt das Gremium über seinen Zwischenbericht ab. Darin geht es um die Ergebnisse zu den Themen Netzneutralität, Datenschutz und Persönlichkeitsrechte, Urheberrecht und Medienkompetenz. Dies sind allerdings erst vier von 12 Themen, die die Enquete in Projektgruppen bearbeiten will.
Streit um Bürgerbeteiligung: Neuer Ansatz der Enquete war, über das Internet auch Bürger in die Diskussion einzubinden. Nach langem Streit wurde Ende Februar 2011 die Online-Beteiligungsplattform Adhocracy eingerichtet, auf der Bürger ihre Ideen und Vorschläge einbringen können. Die Idee: Der Bürger soll der 18. Sachverständige der Kommission werden: Positiv bewertete Vorschläge sollen in die Arbeit der Kommission einfließen. Bislang ist die Resonanz jedoch noch gering. Im Internet unter www.enquetebeteiligung.de.
"Gerade beim Urheberrecht hat es richtig geknallt", sagt Medienpolitikerin Tabea Rößner, die für die Grünen in der Enquetekommission sitzt. Der Vorsitzende der Enquetekommission, CDU-Politiker Axel Fischer, sah vor allem bei den Themen Netzneutralität und Datenspeicherung die heftigsten Diskussionen. Und das ist erst der Anfang - gerade einmal ein Drittel des Pensums, das die Kommission sich vorgenommen hat, ist zur Halbzeit abgearbeitet. Acht weitere Projektgruppen stehen noch aus. "Wir haben das Thema in seiner Fülle total unterschätzt", gesteht der Vorsitzende Fischer.
Blogger und Netzaktivist Beckedahl hingegen sieht einen weiteren Grund für das langsame Fortkommen: Themen wie Netzneutralität, Urheberrecht oder Datenschutz werden aktuell nicht nur in der Enquetekommission erörtert. Sondern parallel dazu arbeite auch die Regierungskoalition an konkreten Gesetzesvorhaben dazu. "Die Regierungsfraktionen haben kein Interesse daran, in der Enquetekommission andere Positionen zu vertreten", sagt Beckedahl.
Sorge vor Last-Minute-Änderungen
Punkte, an denen die Diskussion etwa über die Speicherung von Vorratsdaten krankt. CCC-Sprecherin Kurz vermutet hinter den hektischen Versuchen, in letzter Minute noch Last-Minute-Änderungen einzufügen, auch innerparteiliche Abstimmungsprobleme: "Teils sitzen in der Enquete junge Abgeordnete, die Positionen vertreten, die die Fraktion nicht immer auf dem Schirm hat." Bedeutet: Wer nicht auf Linie ist, wird spätestens jetzt zurückgepfiffen. Ein Verhalten, dass Parlamentarier von Regierung und Opposition sich nun munter gegenseitig vorwerfen.
Hinzu kam: Immer wieder gab es Ärger darüber, dass den Regierungsparteien das nötige Engagement in der Kommission fehle. "Es gab selten eine Sitzung, in der mehr als vier Abgeordnete waren - oft waren es nur zwei", beschwert sich Beckedahl. "Von der CDU kam wenig, von der FDP fast gar nichts", sagt Grünen-Politikerin Rößner über die Diskussionen über Medienkompetenz. Und die physische Anwesenheit sei nicht alles, so Kurz: "Ich bin enttäuscht von der FDP, die ihre Bürgerrechtslinie nicht wirklich umgesetzt hat", sagt sie.
Von der Partei von Justizministerin Leutheuser-Schnarrenberger hatte sie mehr erwartet. Fragt man jedoch den CDU-Abgeordneten Thomas Jarzombek danach, gibt der die Kritik zurück: "Einige Sachverständige haben anfangs tierisch auf den Putz gehauen - und dann musste man denen hinterherlaufen, damit sie endlich ihre Papiere schreiben." Womit er kaum die Vertreter der Lobbyverbände von Internetwirtschaft oder Musikindustrie meinen dürfte, die seine Fraktion entsandt hatte, sondern eher die Netzbürgerrechtler, die meist von der Opposition ins Rennen geschickt wurden.
Wie tief der Graben zwischen bundestäglicher Wirklichkeit und digitaler Wunschvorstellung ist, dokumentierte das zähe Ringen um die digitale Bürgerbeteiligung. Die Pläne waren anfangs für parlamentarische Verhältnisse hochtrabend gewesen: Der Bürger sollte seine Vorschläge auf einer Onlineplattform posten; was dort populär war, sollte auch in die Arbeit der Kommission einfließen. Der Bürger als "18. Sachverständiger", und das auch noch digital - das hörte sich gut an im vergangenen Herbst, als die Proteste von Stuttgart 21 ihren Höhepunkt erreichten. Und so beschloss man schon im Herbst, ein Tool namens "Adhocracy" dafür zu verwenden - scheiterte mit diesem Vorhaben aber zunächst am Ältestenrat des Bundestags. Zu teuer, zu lange Entwicklungszeit, hieß es.
Andere lästerten: Man fürchte eine Aushebelung der parlamentarischen Demokratie. CDU-Politiker Jarzombek gibt zu, dass nicht alle in seiner Partei von der Idee begeistert waren. "Es gab einige, die Angst hatten, dass das manipuliert wird." Anders als er selbst. Auch hier: Eine Lücke zwischen den netzfreundlicheren Abgeordneten in der Kommission und ihren Parteikollegen. "Ich hatte damals schon die Befürchtung, dass wir uns komplett lächerlich machen, wenn wir einerseits vom netzpolitischen Neustart im Parlament sprechen und dann die Zusage für eine Einbindung des 18. Sachverständigen nicht halten können", erinnert sich SPD-Netzpolitiker und Enquete-Obmann Lars Klingbeil.
Wenig Resonanz auf Beteiligungsplattform
Nach langem Hin und Her startete "Adhocracy" Ende Februar 2011. Als die Enquetekommission fast schon Halbzeit feierte, Inhalte schon seit Monaten diskutiert wurden. Entsprechend gering war die Resonanz: Nicht viel mehr als 1.000 Nutzer meldeten sich auf der Plattform an, oft genügten ein paar Dutzend Stimmen, um einen Vorschlag populär zu machen. Zum Vergleich: Wenn der Berliner Stadtteil Lichtenberg online über seinen Bürgerhaushalt diskutiert, sind über 2.500 User dabei.
Wasser auf die Mühlen all jener, die der Bürgerbeteiligung ohnehin skeptisch gegenüberstehen. Denn wenn digitale Bürgerbeteiligung schon bei seinem Thema für ein netzaffines Publikum nicht funktioniert - wo denn sonst? Es bestehe die Gefahr, dass Adhocracy eingemottet werde, wenn nicht daran teilgenommen werde, warnt die Grüne Rößner. "Darum fordere ich immer dazu auf, mitzumachen - denn diese Vorlage wollen wir denen nicht bieten."
"Vom Abschaffen kann keine Rede sein", sagt FDP-Politiker Jimmy Schulz, der das aktuelle Ausmaß der Bürgerbeteiligung ohnehin "nicht für dürftig" hält. Adhocracy sei ohnehin nicht quantitativ, sondern qualitativ zu verstehen, sagt CDU-Politiker Jarzombek: "Das ist kein Abstimmungsverfahren, sondern ein Impulsgeber. Und zwar ein guter." In seiner Projektgruppe "Medienkompetenz" etwa seien zwei Anregungen von Bürgern in den Zwischenbericht eingeflossen, der heute beschlossen wird.
Social-Media-Beraterin Simon ärgert sich trotzdem über die geringe Beteiligung der Bürger. "Ich werde jetzt anfangen, auch Unternehmen wie Facebook oder Google aufzufordern, Vorschläge bei Adhocracy einzubringen", sagt die Frau, die von der CDU in die Enquete entsandt wurde. "Vielleicht bringen die bekannten Feindbilder ja eine Reaktion hervor." Viele andere Kommissionmitglieder hoffen, dass ab dem Sommer mehr Bürger mitdiskutieren, wenn die acht verbliebenen Themenbereiche verhandelt werden.
Ob sich diese Hoffnung verwirklicht, wird sich im Herbst zeigen. Dann wird die Kommission weiterarbeiten - wahrscheinlich wie bislang, irgendwo zwischen anregendem Dialog, zähem Ringen und dem Vollschreiben von geduldig bedruckbereitem Papier. Ein bisschen Tanzen nach spanischem Hofprotokoll. Und ein wenig Tetris spielen.
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