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Zwischen den RillenMan trägt wieder Prätention

■ Britpop, dem seine eigene Dekadenz stinkt: Blur, Adventures In Stereo

Hinterher will's wieder keiner gewesen sein: Blur, die Kronprinzen des Britpop, wollen nicht mehr als „Britpop“ gelabelt werden. In prachtvollen Zerknirschungsritualen erzählen sie Vertretern der UK-Musikpresse, die dort traditionell die Rolle von Beichtvätern einnehmen, wie sehr die Poplüge sie ankotzt. Sie hätten schreien mögen, wo sie das lachende Gesicht zeigten. Auch der edle Wettstreit junger Stutzer, den die Band einst mit dem Konkurrenzunternehmen Oasis austrug, wird nicht mehr so gerne erinnert.

Auf ihrem schlicht „Blur“ betitelten fünften Album kommen diverse Wisch-, Beiz- und Schraffurtechniken zum Einsatz, um das ins Ikonische verfestigte Bild aufzurauhen, ich meine: Blur klingen immer noch wie Blur, d.h. wie die Beatles, die Kinks, Bowie, die ganzen britischen Gründungsväter, aber darüber liegt jetzt eine Schicht Noise und bildet Schlieren. „Song 2“ heißen die Lieder, oder „I'm Just A Killer For Your Love“ – Stücke in der ersten Person, wie Sänger/Songschreiber Damon Albarn erklärt hat. Abschied von der Spieluhr: Man will nicht mehr endlos die Dekadenz zelebrieren, man will keine Alben mehr machen, die mehr einem Novellenzyklus ähneln als richtigen echten Gefühlen, man will raus aus diesem ganzen britischen Weltuntergangsdingens mit seinem sentimentalen „Wirst du mich noch brauchen, wenn ich 64 bin“-Schmonz.

„Blur“ ist der Kick in den Arsch von Vergangenheit und Image. Keine Namen, keine Gimmicks, eine Band geht in Klausur. Das Innencover zitiert die Urszene jungsmusikantischer Zusammenkünfte seit den späten Sechzigern, die Situation im Studio: Welt draußen, drinnen bloß Gitarren und Geräte (sogar Synthesizer!) und das konzentrierte Arbeiten am kreativen Output. Es ist die Art von Situation, die Verklärungen von Kindheiten produziert oder großangelegte Abrechnungen, wie Albarn sie in „Beetlebum“ versucht und in „Essex Dogs“: Ich bin britisch, ich bin middle-class, und ich hasse es! Ich bin im Grunde meines Herzens klein, aber liebst du mich noch immer? („Strange News From Another Star“.) Nachdem genügend rausgelassen wurde, kommt es aber auch zur Reformulierung. „This is the music, and we're movin' on, we're movin' on“, singt Albarn sein neues Programm, durchaus wörtlich zu verstehen: Blur suchen den Anschluß an die gitarristische Dekonstruktion, wie sie vor allem in Teilen der USA versucht wird, es ist ganz klar: Sie verstehen sich neuerdings als experimentelle Band.

Daß sie das wollen, ist toll, aber man muß auch mal fragen dürfen: Können die das überhaupt? Die paar Zeitachsenmanipulationen und Synthesizerbrummereien, die ein eher schlichtes Stück wie „Essex Dogs“ zum „Track“ hochjazzen sollen, lassen mehr den Versuch einer Angleichung an jüngere Produktlinien vermuten. Man trägt halt wieder Prätention. So sagen: Man kann mit diesem Album seinen Frieden schließen, „Beetlebum“ ist wieder ein echter Klassiker, aber was hier „Noise“ heißt, ist bloß der Acid- Zuckerguß über der guten alten Britpop-Mechanik.

Imageprobleme haben Adventures In Stereo keine mehr, weil sie das Scheitern bereits frühzeitig hinter sich gebracht haben bzw. dem Erfolg konsequent aus dem Weg gegangen sind. Jim Beattie war einmal Gründungsmitglied bei Primal Scream, für die er das hauchzarte „Velocity Girl“ geschrieben hat, aber er stieg aus, bevor die Sache groß wurde – angeblich, weil er sich nicht von fremden Leuten auf der Bühne Drinks ins Gesicht schütten lassen wollte.

Nach der Zwischenstation Spirea X, einer Band, die keiner kennt, erstellt er zusammen mit Freundin Judith Boyle als Adventures In Stereo kleine Heimarbeiten, die an große Songs aus den Sechzigern erinnern: die Beach Boys der Surfphase, frühe Velvet, Bacharach, Van Dyke Parks. „Low-fi Motown“ wurde es aufgrund der Souleinschlüsse schon genannt, die Labeldichter von Marina Records, wo das Werk hierzulande erscheint, sprechen von Klängen, die „einen umschwirren wie eine sansoweiche Frühlingsbrise und schmecken wie eine buntgestreifte Zuckerstange am ersten Sonnentag des Jahres“.

Dagegen ist prinzipiell nichts einzuwenden, aber es trifft's nicht. Im Unterschied zum konventionellen Retrozirkus weiß man bei Beattie nie, ob er seine Stücke wirklich mag, oder ob er sie nicht heimlich quält, ihnen Narben zufügt, Sachen implantiert, um sie um so liebevoller wieder zusammenflicken zu können – ist doch alles halb so schlimm, Baby! Es sind saccharinsüße Kopfgeburten, zu denen Judith Boyle dunkel und mehrlagig, aber eigentümlich emotionslos singt. Das Engagement ist komplex umgeleitet, und gerade diese Irritation nimmt einen noch einmal mit auf die Suche nach der perfekten Single aus dem Nähkästchen der Kindheit.

Man kann nicht unbedingt behaupten, daß Jim Beatties Schlafzimmerstudio-Experience die Popmusik weiter vorantreibt als eine Band wie Blur, aber er scheint mehr Spaß dabei gehabt zu haben. Auf die Frage, ob es auch eine Message darinnen gibt, hat er gesagt: Schon, „wenn es draußen schneit, mach die Tür zu“. Thomas Groß

Blur: „Blur“ (Spin/EMI)

Adventures In Stereo: „Adventures In Stereo“ (Marina/Indigo)

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