Zwischen allen Stühlen: Kein Formular für Hilflose
Weil ein behinderter Flüchtling von Meck-Pomm nach Hamburg zu seinen Betreuern ziehen will, gerät er in Konflikt mit den Behörden.
HAMBURG taz | Der Fernseher läuft in der Bleibe von Safianou Touré Ali. Sein Mitbewohner hat ihn eingeschaltet. Dessen nackte Schultern schauen unter der Bettdecke hervor, als Ali mit seinem Rollstuhl hereinfährt. Ein Hamburger Pflegeheim. Zwei Betten mit Rahmen aus Stahl, ein kleiner Tisch. Ali lebt hier, vielleicht noch eine Woche. Wenn er entlassen wird, ist er obdachlos.
Ali hat einen runden Bauch. Sein Fuß ruht auf einer Schiene aus grauem Plastik. Bevor er sich das Bein im November brach, lief er bereits auf Krücken. Ali hatte schon Kinderlähmung, als er noch in Togo lebte. Vor elf Jahren kam er nach Deutschland, da war er 28. Er beantragte Asyl, wartete in Flüchtlingsunterkünften in Mecklenburg-Vorpommern auf Antwort. Im letzten Sommer bekam er schließlich ein humanitäres Aufenthaltsrecht – er darf bleiben, weil er krank ist.
Trotzdem steht Ali jetzt vor dem Nichts. Die Behörden strichen ihm seine Leistungen, kündigten seine Krankenversicherung und das Zimmer in der Unterkunft. Er soll sich eine Wohnung suchen und arbeiten gehen, schreiben sie in ihren Briefen. Doch Ali kann nicht. Er ist schwerbehindert.
Der Fall Safianou Touré Ali beschäftigt die Ämter im mecklenburgischen Parchim und in Hamburg. Denn seit Ali beantragt, aus dem Ort Parchim, in dem seine Flüchtlingsunterkunft stand, nach Hamburg umzuziehen – also dorthin, wo ihn seine Freunde betreuen können – schieben sie die Verantwortung für ihn hin und her.
Der Landkreis Ludwigslust-Parchim billigte Ali zwar das Aufenthaltsrecht zu, teilten ihm aber gleichzeitig mit, dass er sich sofort eine Wohnung in Mecklenburg-Vorpommern suchen müsse. Ali streckt sein Kinn in Richtung Zimmerdecke. „Überall Treppen“, sagt er. Mit dem Rollstuhl ging das nicht.
Im Herbst stürzte Ali über eine Türschwelle und brach sich den gelähmten Unterschenkel. Da war er gerade in Hamburg. Hier lag er drei Wochen im Krankenhaus, dann suchten ihm Helfer von der Flüchtlingsorganisation Karawane den Platz in einem Pflegeheim vor Ort. Eine Sachbearbeiterin des Sozialamts in Parchim hatte am Telefon gesagt, man werde das bezahlen. Ein Krankentransport zurück in den eigenen Landkreis sei schließlich noch teurer.
Seit dem 31. Dezember 2012 ist Ali plötzlich nicht mehr krankenversichert. Das Jobcenter in Parchim hat ihn abgemeldet. Und auch andere „Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts“ will man dort nicht mehr zahlen. Denn Ali halte sich „außerhalb des in der Erreichbarkeitsanordnung genannten Bereichs“ auf. Also nicht in Parchim, sondern eben „in Kurzzeitpflege in Hamburg“.
Auf taz-Nachfrage rudert der stellvertretende Landrat von Ludwigslust-Parchim, Wolfgang Schmülling, zurück. Ab Mitte April wolle man wieder für Alis Pflege und Lebensunterhalt zahlen und ihm auch das Geld erstatten, das ihm seit Januar verwehrt blieb. Schmülling sagt, der Umzug nach Hamburg scheitere an der dortigen Ausländerbehörde: „Die Zustimmung ist derzeit noch nicht erfolgt.“
Das zuständige Bezirksamt Mitte teilt mit, man stehe Alis Zuzug nach Hamburg "sehr wohlwollend" gegenüber. Doch dass etwa der Deutsche Gewerkschaftsbund und die Werkstatt für internationale Kultur und Politik ein Praktikum für ihn bereit halten, sobald er genesen ist, reicht ihm nicht. Ali soll ihm eine Zusage oder einen Arbeitsvertrag „jeweils mit einem entsprechenden Einkommen“ vorlegen, hat er ihm geschrieben. Aber Ali lebt im Pflegeheim. Wie soll er jetzt Geld verdienen?
„Mein Eindruck ist, dass es sich um ein Schicksal besonderer Art handelt, das auch Ausnahme-Entscheidungen zulässt, vielleicht sogar verlangt“, hat Cornelie Sonntag-Wolgast an Hamburgs Innensenator Michael Neumann (SPD) geschrieben. Sonntag-Wolgast ist Beirätin im „Bündnis für Demokratie und Toleranz“, das vom Bundesinnenministerium gegründet wurde. Neumann möge den Fall Safianou Touré Ali doch positiv bescheiden. Innensenator Neumann lässt ausrichten, das Schreiben sei eingegangen. Er werde nun „den Sachstand prüfen“ – also mit den Behörden telefonieren.
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