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Zwischen Angst und FaszinationDraußen ist der Wolf

Die Debatte über Wölfe wird in Deutschland geht weit über Detailfragen hinaus. Tatsächlich geht es darum, wer definieren darf, was Natur ist.

Ist er da, der Wolf? Und wenn ja, was bedeutet das? Foto: Lino Mirgeler/dpa

Landkreis Rotenburg taz | Man kriegt als Normalmensch wenig von ihnen mit“, sagt der Wolfsberater des niedersächsischen Landkreises Rotenburg, Wolfgang Albrecht, am Telefon. Das ändert aber nichts daran, dass es in der Gegend ein Rudel gibt, das eben auch durch den kleinen Ort Vierden streift. Dabei hatte ich angerufen, weil ich das, was ich um eine Ecke in dem Dorf gehört hatte, für ein Schauermärchen gehalten hatte. Schauer deshalb, weil es nicht so geklungen hatte, als sei es eine gute Nachricht: Die Wölfe sind da.

„Irgendwo sind sie immer“, sagt Albrecht noch, schließlich ist das Revier eines Rudels etwa 250 km2 groß. Weit weg und immer da – so wie die Diskussion über ihre Rückkehr. Warum wird die Debatte über die Wölfe so erbittert geführt, als ginge es um die Existenz der Beteiligten, was manchmal, aber durchaus nicht immer der Fall ist?

So aufgeheizt, dass die Namen der Jäger, die auffällig gewordene Wölfe erschießen, nicht genannt werden, weil man fürchtet, dass sie zur Zielscheibe radikaler Wolfsschützer werden. Und umgekehrt Wolfsschützer berichten, ihre Veranstaltungen würden von Landwirten und Jägern gestört.

Es sind Welten, die so weit voneinander entfernt scheinen, dass man nicht einmal dieselbe Sprache spricht: Was für die Wolfsschützer der Wolf Kurti ist, läuft für die Jägerschaft und die Landwirte als MT6 durch Niedersachsen. Und wenn Umweltverbände diese Sprechweise übernimmt, macht er sich in den Augen von Vereinen wie Wolfsschutz Deutschland bereits verdächtig.

Es geht nicht nur um Kostendeckung

Von Töten wird in der ganzen Debatte nie gesprochen: Den Abschuss der auffällig gewordenen Wölfe bezeichnen die Behörden als „letale Entnahme“, wenn die Wölfe Beute machen, wird es meist mit einem Begriff der Jägersprache „reißen“ genannt.

Will man auch in Rotenburg, dass die Wölfe entnommen werden? So direkt sage das niemand, meint Wolfsberater Albrecht. „Es heißt: Es muss etwas gemacht werden.“ Aber was?

Glaubt man Thomas Norgall vom BUND Hessen, dann gibt es ganz praktisch eine ökonomische Ebene, auf der die Nutztierhalter zu wenig entschädigt werden. Sie bekommen etwa nur Geld für Schutzzäune, aber nicht für die Arbeitszeit, um sie zu errichten.

Aber, sagt Norgall dazu, dahinter komme gleich eine zweite, schwierigere Ebene: „die Emotionen“. Da stünden einerseits diejenigen, für die die Rückkehr der Wölfe bedeute, dass es jetzt mitten in Deutschland so etwas wie Wildnis gibt. Und für die anderen, die Weidetierhalter – mit denen man sich, so bedauert es Norgall, als Umweltschützer noch stärker hätte zusammenschließen müssen – gibt es nun eine neue Ära: die mit den Wölfen. Und davor eine vergangene, bessere Zeit ohne sie.

Wer darf bestimmen, was Natur bedeutet?

„Es gibt eine Angst vor dem, was neu ist“, sagt Norgalls Kollege vom BUND Nordrhein-Westfalen, Holger Sticht. Gerade bei denen, die eine konservative Haltung als Landwirt haben, die sich gemäß dem Bibelspruch die Erde untertan machen wollen.

Philosophisch gesehen wäre das Etikett dazu das Anthropozän, ein Zeitalter, in dem Natur etwas von Menschen Gemachtes ist. Und damit kommt man zum Kern des Problems, der tiefer liegt als die Benennung der Wölfe und die Höhe der Schutzzäune: die Frage, wer bestimmen darf, was heute Natur bedeutet.

Und so ist es gar nicht weiter überraschend, dass viele derjenigen, die hier leidenschaftlich mitmischen, noch nie einen Wolf gesehen haben. So wie der Mann in der Lausitz, der zehn Jahre nach ihnen fahndete und dem auch als Holger Sticht zu Besuch war, kein Glück bei seiner Suche beschieden war.

Glaubt man Sticht, dann will eine Mehrheit inzwischen eine Natur, die nicht komplett der Kontrolle des Menschen unterworfen ist. Die Rückkehr des Wolfs – das ist für seine VerteidigerInnen die Verheißung einer Natur, die wieder zu sich selbst findet. Dazu passt, dass die Politik – der EU-Vorgabe folgend – ganz dezidiert auf eine Steuerung der Wolfspopulation verzichtet.

Auch eine Migrationsdebatte

Aber was, wenn diejenigen, die nach ihrem Verständnis möglicherweise viel näher an der Natur leben, die LandwirtInnen, SchäferInnen und JägerInnen, eine andere Auffassung haben? Nämlich dass hier unter Zwang eine dem Menschen zuträgliche Bewirtschaftung der Natur torpediert wird. Wobei man da nicht unterschlagen darf, dass die nicht so uniform ist, wie die lautesten Stimmen es jeweils vermuten lassen, und leisere wie etwa den ökologischen Jagdverband übertönen.

In Manchem erinnert die Debatte über die Rückkehr der Wölfe in ihrer Rollenverteilung an diejenige zur Migration nach Deutschland: Das Neue erscheint für die einen als Gewinn und für die anderen als Bedrohung.

Es ist aufregend, das Anthropozän zu verlassen – und sei es nur für einen kleinen Abstecher. Die Diskussion darüber ist noch lange nicht vorbei.

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2 Kommentare

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  • Natur- und Umweltschutz hat auch mit einem käuflichen guten Gewissen und Ablasshandel zu tun.



    Betroffen ist eben der Weidetierhalter und überhaupt Menschen, die nicht in der urbanen Welt leben. Herr Norgall vom BUND weint Krokodilstränen. NABU und BUND sind Managementgesellschaften, die Kapital einsammeln und in Land investieren. Ein Bauer ist dafür nicht zwingend notwendig.

  • Es ist eine große Verlockung, der viele nicht widerstehen:



    Einfach auf die Willkommen-Wolf-Taste hämmern und schwups ist der eigene Anteil am Zustand des Planeten vom Tisch. Sogenannte NGOs haben der Kirche den Ablasshandel abgenommen. Im Rudel jagende Großraubtiere retten das Ökosystem und man kann bequem weitermachen wie bisher. Funktioniert halt nur bei totaler Unbetroffenheit. Weder die Politik noch die NABU-Funktionäre haben den geringsten umsetzbaren Lösungsansatz für die Weidetierhaltung anzubieten und dementsprechend wird diese nach und nach die Konsequenzen ziehen.