■ QUERBILD: Zwielicht
„Willst du Gerechtigkeit, gehe ins Bordell, willst du gefickt werden in den Gerichtssaal!“ Dieses Motto gibt der Staranwalt Martin Vail, gespielt von dem mehr denn je grauschläfigen Richard Gere, gleich zu Beginn von Zwielicht mit auf den Weg. Bekanntlich verschwimmen im Zwielicht ja die Umrisse, Schein und Sein verlaufen ineinander. Die Verwischung von Wahrheit und Lüge zieht sich dann auch durch all die Handlungsstränge des Kino-Regiedebuts von Gregory Hoblit, dem Regisseur von TV-Gerichtsserien wie L.A. Law. Herausgekommen ist bei diesem Debut eine komplexe bis überladene Mischung aus Gerichts-, Psycho-, Liebes- und Korruptionsdrama, die durch die Entwicklung der Figur des Martin Vail zusammengehalten wird: eine Entwicklung vom arroganten und zeitweise erstaunlich selbstironischen Paragraphenjongleur zum einfühlsamen Kämpfer für Gerechtigkeit.
Dazwischen spult sich eine verwickelte Story ab, die sich um den Mord am Erzbischof von Chicago gruppiert. Dieser wird in einer, für das saubere Ambiente des Filmes unerwarteten, Splatterszene bestialisch abgeschlachtet. Wenn dabei in den Körper des Bischofs Schriftzeichen eingeschrieben werden, mutet das wie ein Verweis auf die Diskussionen um das Verhältnis von Körper und Schrift an.
Des Mordes verdächtigt wird Aaron Stampler (Edward Norton), für den der Bischof ein Ersatzvater war – Psychoanalyse läßt grüßen. Stampler behauptet, zwar im Haus des Bischofs, aber ohnmächtig gewesen zu sein. Als Vail die Verteidigung von Stampler übernimmt, interessiert ihn weniger die Wahrheit als die medienträchtige Wirkung des Prozesses. Die Suche nach einem dritten Mann beginnt und endet bis kurz vor Schluß in einer Persönlichkeitsspaltung. Politische Intrigen, sexuelle Perversion des katholischen Kirchenvaters, Verfolgungsjagden im Untergrund von Chicago, gespickt mit witzigen Dialogen, machen den Film streckenweise zu einem kurzweiligen, aber natürlich mainstreamigen Vergnügen. Letztendlich entkommt Zwielicht jedoch nicht gänzlich der Gefahr ideologischer Zwielichtigkeit, die im Andocken an den In-Diskurs zwischen intellektueller Spitzfindigkeit und Skrupellosigkeit liegt. Der sexuelle Mißbrauch an Aaron etwa gerät am Ende doch in die Nähe der notorischen Diskussion um den „Mißbrauch mit dem Mißbrauch“ – und zwar in einer ideologisch wenig fortschrittlichen Variante mit der Diskussion um Schuldfähigkeit und Todesstrafe verkoppelt. Die Wendung der letzten fünf Minuten stellt so zwar eine überraschende Pointe dar, holt jedoch die Frage nach Wahrheit und Lüge in eine Entscheidbarkeit zurück, die zeigt, daß Eklektizismus nicht vor dem Rückfall in zwielichtige Aussagen über Wahrheitswerte schützt.
Elke Siegel siehe Filmübersicht!
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