Zweites Album von Superorganism: Let there be emphatische Teenager
Die multinationale, in London vor Anker liegende Bubblegumband Superorganism veröffentlicht endlich ihr zweites Album „World Wide Pop“.
Die Mitglieder der Band Superorganism kommen von überall her. Heute wohnen die meisten von ihnen zwar in einem Haus im Londoner East End, aber das Kennenlernen fand 2017 bei transatlantischen Zoom-Konferenzen zwischen den USA, Großbritannien und Australien statt. Ebenso die Audition der Sängerin und Schauspielerin Orono Noguchi und sogar noch die ersten Probetermine.
2018 erschien das in Erstaunen versetzende Debütalbum. Dessen Textwelt handelte von den Problemen, die sich einem Liebespaar heute in die Quere stellen und es gleichzeitig beflügeln können. „Everybody wants to be famous“, sang Noguchi, um über eingestreuten, wuchtig poppigen Synthesizersprengseln hinzuzufügen: „Koste es, was es wolle“.
Nun erschient mit „World Wide Pop“ ein zweites Album. Es streckt und dehnt sich thematisch in viele Richtungen. Oguchi singt unter anderem ein hochgewitztes Loblied auf „Teenager“. Die hätten mal findige Geschäftsleute in den 1950er Jahren erfunden. Teenager verbrächten ihre Zeit damals nicht mehr wie die vorige Generation damit, Kampferfahrung im Zweiten Weltkrieg zu sammeln.
World Wide Pop
Superorganism: „World Wide Pop“ (Domino/GoodtoGo); live: 5. 9. 2022 Hamburg „Nochtspeicher“, 6. 9. 2022 Berlin „Hole 44“, 12. 9. 2022 Köln „Club Volta“
Stattdessen suchten sie nach Möglichkeiten, etwas mit der Kohle anzufangen, die sie etwa als Zeitungsausträger:in verdienten. Teenager leisteten sich daraufhin Rock-’n’-Roll-Schallplatten und -Konzertbesuche. Plattenfirmen, Veranstalter und Werbeagenturen könnten so über die nächsten Jahre und Jahrzehnte immer erstaunlichere Profitmargen erwirtschaften. Weltstars wie die Beatles und Abba hätten Abermillionen von Singles und Alben verkauft, sodass sie sogar die Außenhandelsbilanzen ihrer Heimatländer verbesserten.
Teenager hätten eine ganze Branche erschaffen und ernährten sie bis heute. Sie sind es auch, die dieser Branche nach einer Konjunkturdelle ermöglichten – wie es das expandierende Download- und Streaminggeschäft der letzten Jahre zeigt –, sich wirtschaftlich zu erholen.
Um was für eine emphatische Figur es sich bei Teenagern auch handelt, hat vor Noguchi so exakt noch nie jemand beschrieben. „I’m gonna grow up and be a teenager.“ Den Teen sieht Noguchi dabei nicht als von sentimentaler Trauer umflorten Jugendlichen, wie er von Tennnessee Williams in „Sweet Bird of Youth“, bis zu Tocotronic in „Let There Be Rock“ bereits hinlänglich charakterisiert worden ist.
Noguchis Titelheldin hat stattdessen für Sentimentalität keinen Termin mehr frei. Denn ihre knappe Zeit stellt vor eine Wahl: Du kannst Stunden, ja sogar Tage und Wochen nutzen, um, wie Noguchi singt, etwas „über die Vergangenheit zu lernen“. Aber um den Preis, dass „Gegenwart und Zukunft verdammt schnell verschwinden.“
„Weil man sich wie ein Klischee vorkommt“
Wer sich auf diesen Deal einlässt, muss „Na und!“ sagen können. Das ist Noguchis Methode, „sich nicht zu Boden drücken zu lassen, weil die Fakten eine so klare Sprache sprechen, aber sich auch nicht zurückzuhalten, weil man sich wie ein Klischee vorkommt“.
Ohne spielerische Anmaßung ist also nichts zu bewältigen bei dieser Musikerin, deren neues Album einen majestätisch ballernden Kaugummi-Poprock entfaltet. Dieser ist gleichzeitig die ab- und aufgeklärteste, kommerzielle Musik zur Zeit. Vielleicht kann man sich eine solche nur ausdenken, wenn man wie Noguchi in Japan aufwuchs, in Maine zu studieren begonnen hat und nun hauptberuflich von London aus Musik macht.
Und Superorganism führt sie mit viel einschüchternder Dramatik auf, wie es etwa ihre Coverversion „Massive Black Hole“ der Band Muse zeigt. Da bratzt eine Gitarre wie wüst-zorniger Theaterdonner rum, weil durch Liebeskummer „die Seele angezündet“ wird.
Das Mädchen von Ipanema hingegen lässt Superorganism „On & On“, also immer weiter- und weitermachen, um es beim Finale des Albums das Ende aller privaten Verbindlichkeiten erleben zu lassen: „Everything falls apart“.
Hiermit spielt Superorganism womöglich darauf an, dass einige ihrer Mitglieder – Vorwürfe sexueller Belästigung stehen im Raum – die Band vor dem neuen Album verlassen haben. Bleibt zu hoffen, dass nach einem so souveränen Streich wie „World Wide Pop“ den verbliebenen nicht die Lust auf ein drittes Album vergangen ist.
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