Zweites Album von Santigold: Bling-Bling-Barock und Schlachtrösser
Mit „Master of my Make-Believe“, ihrem zweiten Werk, inszeniert sich die Sängerin Santigold als unruhiger Popstar. Selbstbewusst ist sie, doch niemals selbstzufrieden.
„Wenn ich Musik höre und Kunst sehe, die mir gefällt, kriege ich Schmetterlinge im Bauch“, sagt Santigold. Wer bin ich, ihr da zu widersprechen? Keine Frage, „Master of my Make-Believe“, das neue, zweite Album der 36-jährigen New Yorker Sängerin mit der spröden Stimme wird diesen Sommer bestimmen. Es ist die Art Pop, die einen sachte für sich einnimmt. Sehr abwechslungsreich, mal punky, mal Dancehall, immer elektronisch abgestimmt und mit großem Wiedererkennungswert.
Santi White ist an ihrer Künstlerpersona gewachsen. Egal, wie heiß es wird, ihre Songs bleiben tiefkühltruhencool. Früher hat sie für Mainstream-Künstlerinnen wie Christina Aguilera Songs komponiert, nun beobachtet sie diese aus der Distanz. „Keep climbing higher / In less attire“, wie sie in dem Aufgalopp „Freak like me“ den Mainstream charakterisiert.
Ausziehen tun sich die anderen, sie selbst kostümiert sich glamourös. Das Cover von „Master of my Make-Believe“ ziert ein Gemälde des New Yorker Künstlers Kehinde Wiley. Im Stile des Bling-Bling-Barock hat er Santigold mit goldenen Epauletten, Military-Fellmütze und Reitstiefeln aus Juchtenleder porträtiert, flankiert von zwei Schlachtrössern, deren Namen man zu gerne wüsste: Deister? Dustcommander?
Große Kunst, sagt Santigold, lässt ein Kribbeln entstehen, „vergleichbar mit dem überwältigenden Gefühl, das sich einstellt, wenn ich frisch verliebt bin. Funken entfachen dabei, die mich anstacheln und gleichzeitig verändern. Das geht nicht nur mir so, es ist grundlegend für die menschliche Existenz.“
Karriere am Scheideweg
Veränderung kriegt niemand geschenkt, auch nicht Santigold. Ihre Karriere war am Scheideweg, bevor sie im wahrsten Sinne des Wortes noch mal die Kurve gekriegt hat. Nach ihrem gefeierten Debüt 2008, einer Viertelmillion verkaufter Exemplare und zwei Jahren nonstop auf Tour, war sie ausgebrannt, als sie im Mai vor zwei Jahren mit den Aufnahmen für ihr zweites Album begann.
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Die Studiosession auf Jamaika war desaströs. Ein Ausflug mit einem Speedboat brachte die Wende: Geschwindigkeit, die dabei entstehenden Fliehkräfte, der röhrende Motorenlärm und die scharf geschnittenen Kurven hätten sie wieder in die Spur zurückgebracht, erklärt die Musikerin.
Sound zwischen allen Stilen
Ihre Schaffenskraft hat sie mithilfe von transzendentaler Meditation wiedererlangt. Ein Tipp ihres Musikerkollegen David Sitek (TV on the Radio), einem der Produzenten ihres neuen Werks. „Master of my Make-Believe“ ist kein Esoterikkram, die Musik zeugt von innerer Unruhe. Ihr Sound oszilliert zwischen allen Stilen: Beats aus den Baukästen innerstädtischer Dringlichkeit, klassische Poprefrains à la Kim Wilde.
Man fühlt sich an Scott Walker erinnert. Wie dieser hat auch Santigold eine markante Stimme. Wie dieser besitzt auch Santigold künstlerische Integrität, hat sich vom Druck der Plattenfirma emanzipiert. Auch ihre Stimme klingt traumhaft sicher. Santigold ist ein Popstar, der mit der Oberfläche spielen kann, weil er um ihre Fassadenwirkung weiß.
„Es beginnt mit einem Gefühl, und ich muss dafür die passenden Worte finden“, beschreibt sie ihre Arbeit. Nicht nur die Melodien brennen sich ein, auch die Texte, die literarische Qualitäten haben. „People want my Power / And they want my Station / Storm my Winter Palace / But they couldn’t take it / All the way to Paris / Ride my Reputation / Try to pull my Status“, singt sie schon zu Beginn in „Go!“. Santigold ist unterwegs, sucht sich. Selbstzufriedenheit ist ihre Sache nicht, trotzdem ist sie selbstbewusst.
„Celebrity-Kultur ist total hohl“
Begriffe wie Status, Ruhm, Geld tauchen immer wieder in ihren Texten auf, Werte, die sie als Bürde empfindet, wie das Ausschlachten von Starpower: „Celebrity-Kultur ist total hohl. Sie hat keinerlei Bedeutung und ruiniert alles Kreative.“
Santigold gehört der Generation PostHipHop an. Sie arbeitet mit verschiedenen Produzenten, lässt sich nicht auf eine Rolle oder ein Genre festlegen. Die Beats bollern nicht, sie sind wie Nadelstiche, auf den Punkt, brechen auch mit Traditionen. Der Elan von Santigolds Musik geht über die Bedürfnisse der Tanzfläche hinaus, die Hooklines sind mesmerisierend.
Wenn es hieß, Pop könne Leben retten, hat Santigold diese Maxime weitergedacht: „Die neuen Songs drehen sich um künstlerische Freiheit. Ich will meine Kunst selbst bestimmen. Mehr Freiraum gibt mir die Möglichkeit, mich in einem anderen Licht zu sehen. Also kann ich auch die Welt in anderem Licht sehen. Egal, wie abgefuckt sie ist, Pop kann die Welt verändern.“
■ Santigold, „Master of my Make-Believe“ (Atlantic/Warner)
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