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Zweigleisig auf Nummer sicher

■ Fußballprofi zu werden ist nicht leicht. Nur die wenigsten bekommen eine Chance. Robert Matiebel von den HSV-Amateuren hat nun sogar seine zweite

Nach zwei Jahren hat Hamburg ihn wieder. In Braunschweig spielt Robert Matiebel heute erstmals nach fast einem Jahr ohne Fußball für die Regionalliga-Amateure des HSV. „Ich muß nach meiner Verletzung wieder in Tritt kommen“, gibt sich der Mittelfeldspieler bescheiden. Ein Kreuzbandriß zwang den 22jährigen unfreiwillig zu einer neunmonatigen Pause.

Mit 20 wechselte das Talent des damaligen Viertligisten SC Concordia zum VfL Bochum. Dort spielte er ein Jahr Bundesliga, ehe der Verein abstieg. Am Zweitliga-Durchmarsch des VfL in der vergangenen Serie war Matiebel kaum beteiligt. Im September 1995 verletzte er sich. Schwierigkeiten mit Trainer Toppmöller kamen hinzu. Sein alter Trainer bei Concordia, Bernd Enge, inzwischen Talentspäher beim HSV, leitete schließlich die Rückkehr in die Hansestadt ein.

Schon vor zwei Jahren war der HSV an Matiebel interessiert gewesen, doch ein Wechsel scheiterte. „Eine komische Sache“ sei das gewesen, so als ob „man mich nur angesprochen hatte, weil durch die Zeitungen geisterte, daß ich nach Dortmund gehen sollte.“ Ernsthaft sei das Angebot, als Vertragsamateur verpflichtet zu werden, nicht gemeint gewesen: Man wollte sich wohl nicht vorwerfen lassen, nichts getan zu haben, „um mich in Hamburg zu halten“, vermutet Matiebel. Aber nur Training mit den Profis und doch zumeist Einsätze in der dritten Liga waren ihm „zu wenig“. Er entschloß sich, die Koffer zu packen: „Ich wollte Profi werden.“

Heute, nach dem Aus im Ruhrpott, ist die Lage anders. „Die HSV-Amateure sind von Niveau und Umfeld her genau die Mannschaft, die ich in Hamburg gesucht habe,“ fühlt Matiebel sich nun am richtigen Ort. Daß im Verein noch eine Profi-Mannschaft über seinem Team steht, mache den Abstieg einfacher: „Es ist weniger kraß, als wenn man zu einem kleineren Regionalligisten wechselt.“

Den Bruch in seiner Sportler-Biographie hat Matiebel realisiert, die Lebensplanung jenseits des runden Leders läuft allmählich an: „Die Zeit in Bochum war nicht verschwendet, aber jedes Jahr, das ich jetzt nur Fußball spiele, verliere ich.“ Seit Montag absolviert Matiebel ein einmonatiges Praktikum beim Hamburger Pay-TV-Sender premiere, im Oktober soll ein Politik-Studium folgen. Auch bei einem weiteren Engagement in Bochum, hätte er einen zweigleisigen Weg versucht, sagt er. „Das Leben als Profi hat mich nicht ausgefüllt, das war nicht ganz meine Welt.“

Viele Talente gehen lieber auf Nummer sicher und verfolgen neben dem Fußball noch eine „bürgerliche“ Ausbildung, weil ihnen die Nachwuchspolitik der Profifußball-Unternehmen oft nicht verläßlich erscheint. „In Bochum wurde ich selbst dann nicht eingesetzt, wenn wir 4:0 geführt haben“, erinnert sich Matiebel. Doch gerade mit den absichernden Nebentätigkeiten der Hoffnungsträger begründen manche Trainer ihre geringe Bereitschaft, auf Talente zu bauen.

So beschwerte sich St.-Pauli-Coach Uli Maslo unlängst, daß Regionalliga-Kicker ihr Studium nicht aufgeben wollten, um bei den Profis zu spielen. „Vorhandene Talente sollte man fördern, indem man sie in die Bundesliga-Mannschaft mit hereinnimmt, soweit es geht“, artikuliert Matiebel wohl stellvertretend die Interessen vieler Altersgenossen, „aber leider denkt man oft zu kurzfristig und gibt den Leuten nicht die Chance.“

Zwei Talente, die den FC St. Pauli unlängst verließen – Joe Enochs zum Regionalligisten Osnabrück und Johann Stenzel zu Erstliga-Aufsteiger Bielefeld –, berichteten von Schießübungen aufs leere Tor abseits des Profikaders, als sie eigentlich ein Probetraining bestreiten sollten. Einladungen erscheinen so als Alibi-Konzessionen an den Nachwuchs, der zuschauen mußte, wie lieber „fertige“ Spieler verpflichtet werden. „Oft versauern die Leute“, meint auch Matiebel, „die Mehrzahl der Talente wird ja nach ein, zwei Jahren wieder zurückgeschickt, weil man wenig Vertrauen in sie hat.“

Noch schneller erging es Elard Ostermann. Der schon beim VfL Bochum aussortierte war Ende 1995 zum HSV gewechselt, wurde aber nur sporadisch in der Bundesliga eingesetzt. Nun spielt Ostermann bei Hannover 96 – in der dritten Liga. Daß es auch anders geht, beweist Hasan Salihamidzic. Unter dem damaligen Amateurtrainer Felix Magath hatte der 19jährige den Sprung vom HSV-Nachwuchs in den Profikader geschafft.

Ein Weg, den auch Matiebel noch gehen könnte, „wenn er das umsetzt, was er an Talent mitbringt“, wie HSV-Regionalliga-Trainer Ralf Schehr prognostiziert. Der ehemalige Verbandstrainer ist durchaus ein Verfechter der Zwei-gleisigkeit: „Auch wer im Profibereich tätig ist, hat genug Zeit, um Bücher fürs Studium zu lesen. Man kann zwar nicht als Schreiner oder bei der Haspa arbeiten, aber man kann sich fortbilden.“

Während die Fortbildung anläuft, will sich Matiebel auch mit gesundetem Knie bei seinem nächsten Sprung ins Profigeschäft Zeit lassen – vorläufig sei nur die Regionalliga für ihn interessant. Genug Druck wird trotzdem auf ihm lasten. Im talentge-spickten HSV-Team ist er der einzige, der bereits Profi-Erfahrung hat – eine Perspektive, die, so Matiebel, für alle Kollegen verbindlich ist: „Wen der HSV verpflichtet, soll Profi werden.“ Wo, ist dann immer noch eine andere Frage.

Folke Havekost

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