■ Bosnien: Läßt sich das Dayton-Abkommen per Dekret durchsetzen?: Zweifelhafter Nutzen
Die internationale Staatengemeinschaft hat Ernst gemacht. Per Dekret hat der internationale Koordinator für die Bosnien-Friedenshilfe, Carlos Westendorp, zum 1. Januar kommenden Jahres das Inkrafttreten des Gesetzes über die Staatsbürgerschaft in Bosnien-Herzegowina verfügt. Dieser Schritt ist durch das kürzlich auf der Bonner Bosnien-Konferenz beschlossene erweiterte Mandat gedeckt und damit juristisch unanfechtbar. Was allerdings den politischen Nutzen dieser Aktion angeht, sind erhebliche Zweifel angebracht.
Und so hat denn auch die Ankündigung aus Westendorps Büro, der Hohe Repräsentant werde seine neuen Vollmachten auch künftig nutzen, um das Friedensabkommen von Dayton hinsichtlich der Bildung eines gesamtbosnischen Staates durchzusetzen, einen kleinen Schönheitsfehler. Genau dieses Ziel könnte durch das jetzt dekretierte Gesetz unterlaufen werden.
Denn die Vorschrift räumt sowohl Kroaten als auch Serben in Bosnien die Möglichkeit ein, die Staatsbürgerschaft ihres jeweiligen „Mutterlandes“ zu erhalten und hält den beiden Volksgruppen damit ein Hintertürchen offen. Dadurch ist ein weiteres Auseinanderdriften der beiden Entitäten Muslimisch-Kroatische Föderation und Republika Srpska bereits im Kern angelegt. Vor diesem Hintergrund klingen die Worte über eine einheitliche bosnische Staatsbürgerschaft zwar schön, haben mit der Realität aber nur wenig zu tun. Zudem stellt sich die Frage, woher denn so plötzlich die Motivation der Beteiligten kommen sollte, sich jetzt noch auf ein Gesetz zu verständigen, das das Westendorp-Dekret wieder außer Kraft setzen würde.
Ob Westendorps Warnschuß Kroaten, Serben und Muslimen tatsächlich zu der Einsicht verhilft, sich künftig anstelle der Konfrontation für eine Kooperation zu entscheiden, ist angesichts der augenblicklichen Situation daher eher unwahrscheinlich. Nur stehen dummerweise nicht weniger konfliktträchtige Fragen auf der Tagesordnung, deren Behandlung bislang den mangelnden Willen der drei Volksgruppen zur Verständigung stets mit Nachdruck dokumentierte.
Da die Richtung jetzt vorgegeben ist, kann die Konsequenz für Westendorp nur eine sein: weitere Verfügungen per Dekret. Nur dann wäre Bosnien bald das, was im Moment im Westen kaum jemand so offen auszusprechen wagt: ein Protektorat. Barbara Oertel
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