Zweifel an der Wildlife-Fotografie: Bildschöne Trophäen für die Kamera

Vincent Muniers Film „Der Schneeleopard“ hat einen César für den besten Dokumentarfilm erhalten. Aber er kreist sehr um seine Macher.

Ein Schneeleopard sitzt zwischen beschneiten Felsen

Am Ende taucht der Schnee­leopard wirklich auf Foto: MFA+

Der preisgekrönte Wildlife-Fotograf Vincent Munier macht sehr schöne Bilder von Tieren. Dafür ist er in allen möglichen, auch entlegenen Weltgegenden unterwegs. Gemeinsam mit der Regisseurin Marie Amiguet hat er einen – mit dem César nun ebenfalls preisgekrönten – Film über eine Tibet-Reise gedreht, auf der unter anderem der sehr scheue und seltene Schneeleopard bildlich festgehalten werden sollte. Mit ins Boot nahm er den Reiseschriftsteller Sylvain Tesson, wohl um die reflektorische Tiefe des filmischen Unternehmens zu verstärken.

Diese Absicht ist dem fertigen Produkt deutlich eingeschrieben, und auch deshalb ist der Film eben kein großartiges Kunstwerk geworden – trotz vieler atemberaubender Bilder, kunstvoller Montage und der Musik von Warren Ellis.

Ellis, langjähriger Weggefährte von Nick Cave (der groß auf dem Filmplakat steht, tatsächlich aber nur einen Song eingesungen hat), legt seine atmosphärischen, quasi subkutan pulsierenden Klangspuren so über die Landschaft, dass man deutlich zu spüren meint, wie sich hinter der Welt, die das Auge sieht, noch eine andere regt. Das wertet das Ganze enorm auf.

Ohne Ellis’ Musik wäre Muniers Film wenig mehr als schöne Oberfläche, auf der zudem gefühlt mindestens die Hälfte der Zeit weder Tiere noch Landschaft zu sehen sind, sondern stattdessen ein Fotograf und ein Autor mit Kamera und Notizbuch an Berghängen hocken und, wie Tesson es im Off-Kommentar nennt, „lauern“. Die Dialoge, die sie dabei führen und die zum größten Teil vom Fotografen bestritten werden, drehen sich um die Herausforderungen der Wildtierfotografie, also um den Fotografen selbst.

Wer trägt das Zelt, wer die Stative?

Die narrativen Off-Texte, die der Autor für die Passagen dazwischen eingesprochen hat, handeln wiederum von diesem selbst und davon, wie er, der ewig Rastlose, durch den Fotografen, jenen unendlich geduldigen Naturbeobachter, auf dieser Reise zu echter Ruhe gefunden habe. (Tesson hat seine Eindrücke auch in einem Buch verarbeitet, das zu einem Bestseller wurde.) Von Tieren ist durchaus auch die Rede, aber ausschließlich im Zusammenhang mit der Ab- beziehungsweise Aussicht, sie vor die Linse zu bekommen. Sie sind Nebenfiguren, visuelle Trophäen für Muniers Bildersammlung.

Zunächst sind die beiden Männer mit Rucksäcken unterwegs: Sie suchen einen Übernachtungsplatz in den Bergen, um anderntags das frühe ­Morgenlicht einfangen zu können. Es wirkt heldenhaft, wie Munier das Stativ mit dem Riesenzoom durch die Gegend schleppt. Man fragt sich erst nur flüchtig, wer eigentlich das Zelt trägt, die Filmkamera führt und für den hervorragenden Ton sorgt, aber irgendwann beginnt man sich ernsthaft zu wundern, dass plötzlich der eine Mann andere Stiefel und der zweite eine neue Jacke trägt. So viel Gepäck schleppen sie doch wohl nicht mit?

Erst gegen Ende des Films wird offenbar, dass die Crew stationär auf einem Hof irgendwo im tibetischen Hochland wohnt. Die Landschaft ist in Wirklichkeit also auch nicht menschenleer, wie man vorher hätte glauben können. Kinder kommen ins Bild, posieren vor der Kamera, befingern neugierig die Hightech-Ausrüstung, und Tesson fertigt in seinem ­Notizbuch eine lustige Zeichnung an, wie alle zusammen auf einem Berg sitzen.

Kurz­zeitig wird, das ist schön, der reale­ Kontext der ­filmischen Unternehmung deutlicher, wird auch die permanente geografische Nachbarschaft von Menschen und wild lebenden Tieren spürbar, wenn auch nur flüchtig. Der Rest der Filmcrew aber ist nie zu sehen.

Spoiler: Als Krönung des Ganzen wird am Ende tat­sächlich ein Schneeleopard gefilmt – oder ist es eine Leopardin? Das Tier, das so erstaunlich nah am Schlafplatz der Menschen ein Tier gerissen haben soll und das, nachdem es satt ist, über die Bergflanke von dannen zieht, wirkt auffällig üppig um die Leibesmitte. Hat es etwa zu viel gefressen, oder handelt es sich um ein trächtiges Weibchen?

„Der Schneeleopard“. Regie: Marie Amiguet, Vincent Munier. Frankreich 2021, 92 Min.

Unklar; denn weder Erscheinung noch Verhalten des Tiers werden weitergehend kommentiert. Das würde thematisch auch zu weit führen, denn dieser Film handelt schließlich nicht vom Leben des Schneeleoparden an sich, sondern vielmehr davon, wie einmal ein französischer Fotograf auszog, um ihn zu filmen.

Die programmatische Abwesenheit eines tieferen Interesses am abgelichteten Lebewesen aber macht diesen Film in erster Linie zu einem Hochglanzdokument der Eitelkeit seines Urhebers. Wobei eigentlich ja überhaupt nichts verkehrt ist an einem ästhetisch orientierten Blick auf die Natur. Aber wie schade, wenn dahinter nicht mehr kommt als nur das nächste schöne Bild.

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