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Zwei Wochen vor der AbgeordnetenhauswahlDas Spitzenhindernis der Grünen

Klaus Wowereit und Renate Künast sind das Wahlprogamm von SPD und Grünen. Für eine Programmpartei wie die Grünen ist es fatal.

Sie arbeitet und verliert in den Umfragen, er lässt sich mit Krokodil im Gesicht ablichten und gewinnt. Bild: reuters, Thomas Peter

Nach der Wahl ist vor der Wahl, also schaltet Renate Künast nach Mecklenburg-Vorpommern in den Vorwärtsgang. "Für mich ist es schlicht und einfach Rückenwind, Rückenwind, Rückenwind", sagte die Spitzenkandidatin der Berliner Grünen der Leipziger Volkszeitung. Dabei bekräftigte Künast erneut ihren Anspruch, als Regierende Bürgermeisterin ins Rote Rathaus einzuziehen. "Wahlen sind immer dann entschieden, wenn die Wahllokale geschlossen sind."

Nun stellt sich schon die Frage, welchen Rückenwind Renate Künast meint? Ist es der, der ihren freien Fall noch weiter beschleunigt? Bei nur noch 19 Prozent liegen die Grünen in der jüngsten Forsa-Umfrage - das schlechteste Ergebnis seit zwei Jahren. Schlimmer noch ist für Künast Platz drei hinter der CDU (21 Prozent). Bleibt es dabei, ist die Tür zum Roten Rathaus genauso leicht zu knacken wie der Tresor der New Yorker Fed-Bank.

Oder meint Künast den grünen Zuwachs in Meck-Pomm? Fünf Prozentpunkte haben die Ökos in Schwerin zugelegt - und sind erstmals im Landtag vertreten. Im Vergleich zum Wahlergebnis von 2006 würden die Berliner Grünen mit 19 Prozent immerhin einen Zuwachs von sechs Punkten verzeichnen können.

So könnte man das nach dem 18. September verkaufen, gäbe es nicht Künast und ihren Anspruch aufs Rote Rathaus. Inzwischen ist die Spitzenkandidatin zum Spitzenhindernis für einen grünen Wahlerfolg geworden.

Mal angenommen, auf den Plakaten der Grünen würde "Renate" nicht "sorgen" und "kämpfen", sondern der Inhalt im Vordergrund stehen: Gerade erst hat der baupolitische Sprecher der Grünen ein Acht-Punkte-Programm zur Mietenpolitik vorgelegt, das zu diskutieren durchaus lohnte. Gleiches gilt für die Vorstellungen der Grünen zum Thema Verwaltungsumbau und erst recht - A100! - zur Verkehrspolitik. Grüne Inhalte sind wählbar, lautet die Botschaft des Gedankenspiels - aber Renate Künast?

Mit ihrer frühen Festlegung auf das alleinige Wahlziel Rotes Rathaus hat sich die Spitzenkandidatin über die inhaltliche Programmatik ihrer Partei gestellt. Ja, sie hat sich die grüne Expertise im Abgeordnetenhaus nicht einmal zunutze gemacht. Warum gab es - auf Augenhöhe mit der Spitzenkandidatin - kein grünes Kompetenzteam? Warum gab und gibt es vor Fernsehauftritten kein Briefing? Warum keine regelmäßigen Runden mit den Fachpolitikern? Und, auch das gehört in der Mediendemokratie dazu, warum keine Imageberatung? Die Antwort: Weil sich Renate Künast, Ex-Verbraucherschutzministerin und Co-Vorsitzende der Grünen im Bundestag, selbst Programm genug ist. "Eine für alle." Sonst noch Fragen?

Natürlich, bei Klaus Wowereit ist es nicht anders. Schlimmer noch: Bei der SPD wird nicht mehr gekämpft und gesorgt, sondern nur noch gedaddelt. Was sonst ist der Schnappi-Wahlkampf, in dem eine Stoffpuppe die politische Aussage ersetzt? Die Politik ein Spiel, mit Klaus Wowereit als dem besten Spieler.

Doch anders als die Grünen war und ist die SPD ein Wowi-Wahlverein. Bei den Grünen hingegen führte die Fixierung auf Künast und das Rote Rathaus geradewegs in die fatale Debatte um Grün-Schwarz. Wäre es um Inhalte gegangen, hätte das nicht zur Falle werden müssen. Grün kämpft für Grün, alles andere bitte nach dem 18. September. Doch Künasts Alleinanspruch ließ die Inhalte zweitrangig werden. Im Fokus stand allein die rechnerische Möglichkeit, mit der CDU regieren zu können. Für die FDP ist das die Regel, für eine Programmpartei der Todesstoß.

Nun reicht es wohl nicht einmal mehr für Grün-Schwarz. Eigentlich wäre damit der Zeitpunkt gekommen, die Wahlkämpferin Künast vom Bildschirm zu nehmen - und sich mit einer inhaltlichen Offensive noch einmal aufzubäumen.

So aber kommt, was kommen muss: Renate Künast wird noch fahriger werden, ihre Aussagen werden noch unbestimmter, ihre Mundwinkel werden fallen wie ihre Umfragewerte. Schon jetzt, auch das gehört zur Künast-Show 2011, hat sie das innerparteiliche Duell gegen Jürgen Trittin verloren. Auf Bundesebene wird sie künftig eine ähnlich große Rolle spielen wie Klaus Wowereit - nämlich keine. "Renate verdient … Mitleid", müsste inzwischen auf den Plakaten stehen.

Sind die Scherben nach dem 18. September dann beiseite geräumt, werden sich auch diejenigen zu Wort melden, die den Wahlkampf von "Renate" schon immer für die typisch berlinische Großmäuligkeit gehalten haben. Und fragen, ob die Kommunalpolitik für die Bundespolitikerin nicht eine Nummer zu groß gewesen ist. Bis dahin aber gibt es "Rückenwind, Rückenwind, Rückenwind".

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10 Kommentare

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  • W
    Wolfgang

    Dass die Grünen ihren Pressesprecher vor ein paar Jahren direkt von der BILD-Zeitung übernahmen und Renate Künast dann mit Sprüchen wie "Merkel Murks" im Bundestag auftrat, ließ bereits Schlimmes ahnen. Aber sicher nicht, dass es so schlimm werden würde: "Renate arbeitet...." Nachdem die Grünen Zwangsarbeit (Hartz4) und Kriegseinsätze eer Bundeswehr im Ausland willig mitgetragen haben und am liebsten auch gleich noch Soldaten nach Lybien schicken möchten, sind die ehemaligen "Pazifisten" für mich - Grünenwähler seit 1979 - völlig unwählbar geworden. Bei den Grünen treffen sich inzwischen nur noch Karrieristen, die dann - alt und feist geworden - ihre Renten im BMW- oder REWE-Vorstand weiter aufstocken. Ernüchterung total. Jutta Dittfurth hat diese Entwicklung sehr viel früher bemerkt.

  • D
    DerErich

    Die Nominierung von Renate Künast war ohnehin ein Fehler, aber Schuld daran trug ja wohl auch der grüne Landesverband, der sich nicht durchringen konnte, eine lokale Größe zu nominieren. Warum nicht Ramona Pop? Eine engagierte Abgeordnete, die Berlin mindestens so gut wie Wowereit repräsentiert. Aber nein, man wollte ja unbedingt ein bekanntes Gesicht auffahren. Das die Grünen in Berlin nicht den Arsch in der Hose hatten, mit lokalen Politikern und lokalen Themen Wahlkampf zu machen ist nicht nachvollziehbar. Künast passt zu Berlin wie seinerzeit Friedbert Pflüger. go figure

  • V
    volker

    hartz-4 deregulierung der finanz märkte 'n paar 100 neue polizisten für berlin anbiedern an die cdu zensur für's internet abschaffung der berliner mischung unterstützung von angriffskriegen etc

    no ma'm nach 25 jahren wähl ich lieber was anders ...neues blut braucht das land und diese fettgefressenen öko mums sollen zur hölle fahren

    resozialisieren will die künast die piraten lolmannomann tickt die noch richtig???

    wir verhartzten prekäre haben null lobby null vertretung null chance -wartet nur ab-times they r a changing

  • JR
    Jim Rireau

    Die bereits in Artikel genannte Konkurrenz um Themenlosigkeit ist nur eine von diversen Schwächen des grünen Personenwahlkapfs. Der graue Hosenanzug und die sinnlos vor dem Bauch veschachtelten Hände sollen wohl an Angela Merkel erinnern und den einstigen Bürgerschreck der CDU-Sympathisantin in Wilmersdorf wählbar erscheinen lassen. Dazu passt aber widerum nicht das saloppe Branding als "Renate". Überhaupt gabe es, etwa im letzten Bundestagswahlkampf Fotos von Künast die deutlich gewinnender waren. Künast hat wohl entweder die falschen Berater oder sie ist selbst beratungsresistent. Kein gutes Zeugnis, wenn man sich um das Amt der Regierenden bewirbt. Zur Ehrenrettung sei bemerkt, dass die Themenplakate der Grünen dagagen allerdings gut und im Übrigen auch unübersehbar sind.

  • P
    Pressespiegel

    "Gerade erst hat der baupolitische Sprecher der Grünen ein Acht-Punkte-Programm zur Mietenpolitik vorgelegt, das zu diskutieren durchaus lohnte. Gleiches gilt für die Vorstellungen der Grünen zum Thema Verwaltungsumbau und erst recht - A100! - zur Verkehrspolitik."

     

    Wer hat denn der taz untersagt, über diese Punkte zu schreiben? Künasts Pressesprecher?

  • EB
    eta bliert

    Die echte (ok, es gibt keine 'falsche' aber klingt hier trotzdem besser) grüne Basis könnte sich ja im Web+App organisieren und per Twitter interne Votings usw. veröffentlichen. 20 Minuten vorher kriegt Künast das Ergebnis per Email und kann sich vorbereiten. Keine oder nur wenige Zwischenergebnisse. Dann würde Künast nicht mehr vorweg laufen sondern von der Basis in die richtige Richtung motiviert.

     

    Aber die Grünen lehnen Computer und Internet für Alle anscheinend ab. Dann muss man aber wie dem Alphatier folgen wie in jeder Republik, bei den Republikanern oder Wal-Rudeln die dann stranden und verenden. Oder man ist Grün und folgt keinem Anführer sondern rudert gemeinsam in die gute Richtung. Dann müsste man aber das Internet aktiv für jede Basis (und befreundete Vereine) nutzen. Damit jeder sich beteiligen kann statt Anführern hinterherlaufen und zujubeln.

     

    Die Technologien sind (kostenlos) vorhanden und überwiegend etabliert.

     

    Ein hinreichender Teil der Wähler ist schlau genug, sich Sieger-Dummgelaber nach der Wahl als Negativ zu merken. Genau diese Leute haben weniger Angebot auf dem Wahlzettel als Veganer im Steakhaus (gute Steakhäuser haben gute Salat-Buffets). Larifaristen kann ich auch bei der Konkurrenz wählen. Bei der Presse ist Content nicht mehr wirklich gefragt und sehr wenig zu finden. Dasselbe gilt leider für Parteien :-(

  • B
    Ben

    Eine Wahlstrategie der Beliebigkeit und Inhaltsleere kann sich eine Grüne Partei nicht erlauben. Das Argument der Künast Wahtrategen, dadurch wären die Grünen für neue Schichten wählbar erweist sich als fataler Irrtum. Ich bin gespannt,ob diese Super schlauis nach der Wahl Ihren auch persönlche Verantwortung dafür übernehmen.

  • A
    andreas

    Wer wie Frau Künast auf vielen teilweise gegensätzlichen Veranstalltungen erscheint( Flugrouten), der darf sich doch nicht wundern, daß die Grünen nicht mehr ernst genommen werden.

     

    Es ist auch genau ihr Klientel(Gutverdiener) ,daß in den letzten Jahren in die Stadtmitte gezogen ist und schlecht Bezahlte und Renter verdrängt haben.

     

    Und aus Berlin wird auch kein Windrad- und Solarland, daß wissen die Wähler der Grünen ebenfalls zu vergindern.

    Warum also Grün wählen ???

  • F
    foer

    wo finde ich denn das im artikel erwähnte acht-punkte-programm des baupolitischen sprechers der grünen? oder bleibt der inhalt ein geheimnis?

  • BH
    Banjo Hansen

    Es ist, wie dieser Mann schreibt. Er ist klug.