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Zwei Regierungen, zwei AtomausstiegeDer Knick im Konzept

Rot-Grün wollte den Ausstieg kontinuierlich vollziehen, Schwarz- Gelb legt acht Meiler auf einmal still - dann kommt lange nichts. Halbherzig, klagen Umweltverbände.

Das AKW Grafenrheinfeld: Nach den schwarz-gelben Plänen bis ins hohe Alter betriebsam. Bild: imago/Bernhard Classen

FREIBURG taz | Das Enddatum ist ähnlich, doch die bis dahin zu gehenden Wege führen klar voneinander weg: Der aktuelle schwarz-gelbe und der frühere rot-grüne Atomausstieg sind völlig unterschiedlich angelegt. Während das ursprüngliche Konzept auf einen kontinuierlichen und berechenbaren Ausstieg setzte, erfolgt jetzt ein abrupter großer Schritt - und dann womöglich zehn Jahre lang gar nichts mehr.

Mit der sofortigen Stilllegung von acht Atommeilern geht die Bundesregierung sogar über die rot-grünen Pläne hinaus. Für die sieben ältesten Reaktoren (Biblis A und B, Neckarwestheim 1, Philippsburg 1, Isar 1, Brunsbüttel und Unterweser), sowie für den durch häufige Störfälle in Verruf gerateten Meiler Krümmel soll die Betriebsgenehmigung einen Tag nach Inkrafttreten des novellierten Atomgesetzes erlöschen. Ursprünglich sollten diese Meiler erst im Laufe der Jahre 2011 bis 2013, Krümmel erst um 2020 vom Netz gehen.

Während Rot-Grün im weiteren Verlauf etwa einen Meiler pro Jahr abschalten wollte, soll nach den Plänen der jetzigen Bundesregierung in den nächsten zehn Jahren hingegen gar nichts mehr geschehen. Erst in den Jahren 2021 und 2022 sollen dann in einer weiteren Hauruck-Aktion die verbliebenen neun Meiler abgeschaltet werden.

Deutsche Umwelthilfe: "halbherzig und inkonsequent"

"Die Bundesregierung verfolgt den Atomausstieg halbherzig und inkonsequent" kritisiert daher die Deutsche Umwelthilfe (DUH). Statt der öffentlich propagierten, zeitlich gestaffelten Stilllegung der verbliebenen neun Atomkraftwerke liefen die Planungen der Koalition auf ein "Ausstiegsmoratorium" hinaus. Das soll sich über eine volle Dekade erstrecken: "Nach der Stilllegung von acht Altreaktoren unter dem unmittelbaren Eindruck der Katastrophe von Fukushima sollen die Deutschen bis 2021 auf die nächste Abschaltung warten", heißt es bei der DUH nach einer Analyse der aktuellen Gesetzesinitiativen der Bundesregierung. In dieser Legislaturperiode, sowie auch der nächsten und der übernächsten, würde demnach kein weiterer Reaktor mehr vom Netz gehen.

Einige Meiler sollen also bis ins hohe Alter hinein in Betrieb bleiben. Das Atomkraftwerk Grafenrheinfeld, das nach den rot-grünen Plänen 2014 im Alter von 32 Jahren stillgelegt werden sollte, wird nun 39 Jahre lang laufen dürfen.

Auch die Meiler Gundremmingen B und C erhalten 5 beziehungsweise 6 Jahre Aufschub, was besonders brisant ist, weil dies die letzten Meiler vom Typ Siedewasserreaktor sind. Sie gelten als besonders störanfällig und unter den verbliebenen Meilern als die gefährlichsten Deutschlands. Nun sollen sie gleichwohl noch länger laufen.

Und dann soll wieder alles auf einmal kommen: Anfang des nächsten Jahrzehnts sollen nach den Regierungsplänen innerhalb von nur 12 Monaten rund 12.500 Megawatt Atomkraftkapazität vom Netz gehen. Diese geballte Aktion ist womöglich gewollt, weil sie mehr Aufsehen erregt als ein stetiger Prozess: "Es bedarf keiner großen Phantasie sich vorzustellen, welches Geschrei zu Beginn der Zwanziger Jahre angestimmt werden wird, um den Ausstieg noch einmal zu verzögern", sagt DUH-Bundesgeschäftsführer Rainer Baake.

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12 Kommentare

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  • M
    MAYC

    Betreff: Atom-Risiko bis 2022? Nicht mit mir!

     

    Hallo,

     

    der von der Regierung geplante Atomausstieg ist eine

    Mogelpackung: 10 Jahre lang soll der Ausstieg komplett

    pausieren! Erst 2021 sollen sechs Reaktoren und 2022 drei vom

    Netz gehen – ein toedliches Risiko! Und eine Einladung an die

    Atomlobby, dann erneut für den Weiterbetrieb zu kaempfen.

     

    Ich habe gerade einen Appell fuer einen konsequenten

    Atomausstieg ohne Tricks und Hintertueren unterzeichnet. Bis

    er Ende der Woche in bundesweiten Tageszeitungen

    veroeffentlicht wird, sollen ihn mindestens 100.000 Menschen

    unterzeichnet haben.

     

    Unterzeichne auch Du!

    http://tiny.cc/atomappell

     

    Viele Gruesse

  • M
    MAYC

    Betreff: Atom-Risiko bis 2022? Nicht mit mir!

     

    Hallo,

     

    der von der Regierung geplante Atomausstieg ist eine

    Mogelpackung: 10 Jahre lang soll der Ausstieg komplett

    pausieren! Erst 2021 sollen sechs Reaktoren und 2022 drei vom

    Netz gehen – ein toedliches Risiko! Und eine Einladung an die

    Atomlobby, dann erneut für den Weiterbetrieb zu kaempfen.

     

    Ich habe gerade einen Appell fuer einen konsequenten

    Atomausstieg ohne Tricks und Hintertueren unterzeichnet. Bis

    er Ende der Woche in bundesweiten Tageszeitungen

    veroeffentlicht wird, sollen ihn mindestens 100.000 Menschen

    unterzeichnet haben.

     

    Unterzeichne auch Du!

    http://tiny.cc/atomappell

     

    Viele Gruesse

  • ES
    ernstel Sieben

    ..ist vielleicht schon mal jemand auf die Idee gekommen - das der Ausstieg nur dazu dient den Grünen das Wasser abzugraben und der Bürger darf es bezahlen

    so wie die Bankenkrise.

    Wenn nicht langsam ein Quantensprung an Vorstellungskraft in der Bevölkerung einsetzt, verspielen wir eine der grössten, auch wirtschaftlichen Wendepunkte

    und Potenziale an Innovationsschub für eine Globale Erneuerung, die wir hier anschieben können.

    Das könnte International von grosser Bedeutung sein, auch wenn z.Z. noch alle pro Atomkraft orientiert sind.Sobald die anderen Staaten sehen was der Deutsche wieder exportiert, nach dem er super vorgemacht hat das es geht.

    Nämlich "German Engineering" dezentral für kleine Gemeinden und Dörfer in entlegenen Gegenden für alle bezahlbar; auch Drittweltländer ähnlich wie "Opensource" und was das für einen "Sinn" das stiftet, werden selbst die USA umdenken und es zu schätzen wissen..

     

    also Schluss mit klein klein..

     

    http://www.handelsblatt.com/unternehmen/mittelstand/schwellenlaender-schwoeren-auf-german-engineering/3649710.html

  • WW
    W. Wacker

    Warum wird dann jetzt so ein Kuhhandel über eine bis 2016 befristete Brennelementesteuer veranstaltet?

     

    Darauf können wir gern verzichten; sie fällt sowieso nur für neue Brennelemente an.

     

    Was wir brauchen ist eine dynamische Atomstromsteuer: 10% in 2012, 20% in 2013, 30% in 2014, etc. Dann regelt sich der Atomausstieg nach den so oft und gerne propagierten Regeln der Marktwirtschaft von selbst.

  • H
    hanfbauer

    Warum geht es immer nur um die "Restlaufzeit"? Gibt es sonst nichts zu lernen aus Fukushima? Was ist mit dem Einsatz von MOX-Brennelementen? Was ist mit der Endlagerung? OK, das erhöhte Risiko von Siedewasser-AKWs wird wenigstens erwähnt, aber eine Endlagerung in Gorleben ist grob fahrlässig. Gorleben liegt 20 m über dem derzeitigen Meeresspiegel. Vor 10 000 Jahren gab es noch keinen Ärmelkanal, aber in Gorleben soll Atommüll für Millionen von Jahren sicher lagern. Wer so einen "Konsens" mitmacht, ist politisch unzurechnungsfähig.

  • HJ
    Hein Jo

    DER PLAN von Greenpeace find ich gut. Atomausstieg 2015 und doch Einhaltung der Klimaschutzziele. BündnisGrüne schlagen 2017 vor, um Entschädigungszahlungen an die Atomwirtschaft zu vermeiden. Auch akzeptabel, find ich.

     

    Was Beide und auch andere vielleicht in ihren Szenarien unterschätzen, ist die Biomasse. Zwar kann je km² Fläche mit Wind mehr Energie gewonnen werden, aber Windräder können ja nicht auf jedem km² stehen. Dazu hab ich neulich was sehr schlaues gelesen: www.utopia.de/gruppen/oekostrom-185/diskussion/biomasse-oft-unterschaetzt-195743 Das könnte zugleich das große Problem der Speicher wegen Schwankungen von Wind- und Solarstrom entschärfen helfen. (bitte jetzt nicht kommen mit Palmöl aus Indonesien oder Genmais u.s.w. denn solche fragwürdig erzeugte Biomasse ist hier nicht gemeint, siehe Link)

  • P
    piccolomini

    statt sich über den ausstieg vom ausstieg vom ausstieg zu freuen, sind die umweltverbände wieder nicht zufrieden. es hätte auch gewundert, wenn mal alle beteiligten in diesem land beim ziel atomausstieg an einem strang gezogen hätten. hätte die regierung beschlossen morgen sämtliche kraftwerke abzuschalten, hieße der vorwurf von grünen und umweltverbänden: wieso nicht heute?

  • K
    Kommentator

    @Herr Schmidt:

    - Absolute Zustimmung, auch wenn man da gegenüber allen (!) Partei skeptisch sein darf bzgl. Ausstieg und Alternativen

    - Aber was sind "Anti-Atom-Funktionäre"?

    Das sind doch alles Ehrenamtliche, Wissenschaftler und Ökolobbyisten im weiten Sinne. Und die freuen sich SICHER auf ihren Anti-AKW-Ruhestand oder andere wichtige Betätigungsfelder.

  • V
    vic

    Besonders clever wäre natürlich, pünktlich zur Deadline tatsächlich ALLE verbliebenen AKWs vom Netz zu nehmen. Natürlich nachts und im Winter.

    Und bis zu diesem Zeitpunkt weiterhin wie bisher jegliche regenerative Stromerzeugung zu blockieren.

    Das wäre ein Triumph für die Atomlobby, die alternativen Versorger mit heruntergelassenen Hosen zu erwischen.

  • V
    vic

    Ich habe keinerlei Vertrauen in Merkels - für manche geschickt - propagierten Atomausstieg.

    Was besagte Pannenmeiler angeht, die hätten längst vom Netz sein sollen. Kein Grund für Lob.

    Doch viele werden in dieses leckere Honigtöpchen fliegen, und das weiß sie.

     

    Diese Frau regiert mit der Windrichtung, das alles kann in einem Jahr schon wieder ganz anders aussehen.

  • B
    berlinanswers

    Aufwachen, Vorsicht! Mausefalle!

    Warum traut sich keiner zu sagen, dass es fast unmöglich, aber zumindest unsinnig ist, 2021, 22 soviele Kraftwerke auf einmal vom Netz zu nehmen. Das ist doch in der Form ein völlig willkürlicher und ohne sachliche Argumente unterfütterter Termin. Der ist in einer sachlichen Diskussion im Jahre 2020 Sowas von angreifbar..

  • HS
    Herr Schmidt

    Dieses weinerliche "mein Ausstigskonzept ist aber viel schöner" Gejammere der Parteien ist doch nur noch billige Propaganda und der Versuch parteipoliten Vorteil zu ziehen. Hauptsache ist doch, dass die KKWs letztendlich abgeschaltet werden und Deutschland es schafft, sich mit erneuerbaren Enegien (langfristig günstig) zu versorgen. Wenn das klappt ziehen bestimmt auch andere Nationen nach! Ist wirklich ein Grund zum feiern...auch wenn den Anti-Atom-Funktionären dann das Betätigungsfeld wegfällt...