Zwangsräumungen in Bremen: „Jede Räumung ist eine zu viel“
Linke AktivistInnen verhindern in Vegesack die Zwangsräumung eines Mieters. Sie möchten auf das Gesamtproblem aufmerksam machen.
Vier Stunden lang sind auch 16 PolizistInnen, eine Gerichtsvollzieherin, fünf Möbelpacker und ein Mitarbeiter der Brebau vor Ort. Passiert ist allerdings: nichts. „Der Widerstand vor Ort war zu groß, außerdem waren zu wenige Polizisten im Einsatz“, sagt Stefanie Tönjes, Pressesprecherin am Amtsgericht Blumenthal. Das Gericht hatte die Zwangsräumung angeordnet.
Doch warum überhaupt? „Der Betroffene hatte seine Miete mehrfach nicht gezahlt“, sagt Bernd Botzenhardt, Geschäftsführer der Brebau, zur taz. Außerdem habe der Betroffene gegen weitere Pflichten als Mieter verstoßen. Genauer wollte er aus Datenschutzgründen nicht werden.
Die AktivistInnen betonen hingegen, dass die Mietschuld bis heute komplett beglichen sei und kritisieren das Jobcenter sowie den Arbeitgeber des Betroffenen: „Das Jobcenter war über Monate nicht in der Lage, die Bescheide richtig zu berechnen und Beiträge an die Brebau zu überweisen“, sagt Herbert Thomsen, der als Sozialberater beim Bremer Erwerbslosenverband (BEV) den Fall kennt. „Die neuesten Mietschulden entstanden, weil sein Arbeitgeber den Lohn zu spät ausgezahlt hatte.“ Die Brebau als Eigentümerin könne gesetzlich bereits nach zwei offenen Mieten innerhalb eines Jahres eine Zwangsräumung anordnen.
Tobias Helfst, Bremer Erwerbslosenverband
Claudia Bernhard, wohnungspolitische Sprecherin der Linksfraktion, sagte, Zwangsräumungen sollten grundsätzlich verhindert werden und jede Räumung sei eine zu viel. Das sie in diesem Fall von der Brebau durchgeführt werde, sei völlig deplatziert.
Die Betroffenen von Zwangsräumungen gehören laut Tobias Helfst vom BEV oft zu jener Personengruppe, die von der Mehrheitsgesellschaft vergessen würden. „Es handelt sich meistens um Alleinstehende, die neben finanziellen noch weitere Probleme haben“, sagte Helfst. „Wenn dann eine Wohnung geräumt wird, verlieren die Leute auch ihre Habseligkeiten: ihre Möbel, den Fernseher und so weiter. All das wird versteigert.“
Am Ende würden die Betroffenen auf den Kosten sitzen bleiben, die bei 5.000 bis 10.000 Euro liegen könnten, erklärt Helfst. In der Regel seien im Anschluss die Betroffenen mit Obdachlosigkeit oder Unterbringung in einer Sammelunterkunft konfrontiert. Diese seien aber menschenunwürdig, sagt Helfst.
Wie oft es in Bremen zu Zwangsräumungen kommt, dazu gibt es keine genauen Zahlen. Bei den Amtsgerichten würde die Anzahl der eingegangenen Aufträge auf Zwangsräumung an die Gerichtsvollzieher erfasst, erklärt Cosima Freter, Richterin am Amtsgericht Bremen. „Ob diese dann von den Gerichtsvollziehern tatsächlich durchgeführt werden, das heißt, ob sämtliche Voraussetzungen vorliegen und in welchem Umfang sie erfolgreich sind, wird nicht erfasst.“
Im Jahr 2016 seien 465 Aufträge am Amtsgericht Bremen eingegangen, 2017 waren es 438 und im letzten Jahr 528 Aufträge, so Freter.
„Viele Betroffene stehen alleine da“
Sozialberater Helfst schätzt, dass es täglich zu Räumungen komme. Dies beruhe auf seiner Erfahrung aus der Beratung: „Ich habe jeden Tag mit Räumungsklagen zu tun. Fast immer ist bei den Betroffenen eine Mietschuld dabei. Und viele von ihnen stehen komplett alleine da“, sagt er. Auch Zwangsräumungen würden so regelmäßig auf seinem Tisch landen.
Helfst glaubt im Übrigen nicht, dass die zu spät getilgten Mietschulden der einzige Grund seien, den Betroffenen aus Vegesack aus der Wohnung zu schmeißen. „Die Brebau weiß ja, wie niedrig die Mietkosten sind. Die wollen eben Profit daraus schlagen“, sagt er. Zwei bis drei Wochen habe nun das Amtsgericht Zeit, eine neue Räumung anzuordnen. Diese Zeit wollen die AktivistInnen nutzen, um den politischen Druck zu erhöhen und auf das Gesamtproblem aufmerksam zu machen.
Die Polizei ging am Ende nicht komplett leer aus: Kurz nachdem die AktivistInnen die Wohnung in Vegesack verließen, hätte die Polizei sie kontrolliert, berichtet Helfst. Der Grund: Verdacht auf Hausfriedensbruch.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste