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Zwangsbehandlung in der PsychiatrieGericht stärkt Patientenrechte

Die Zwangsmedikation psychisch Kranker wird erschwert. Patienten in geschlossenen Einrichtungen dürfen vorerst nicht mehr gegen ihren Willen mit Medikamenten behandelt werden.

Die psychiatrischen Einrichtungen müssen sich jetzt bei den Zwangsbehandlungen umstellen. Bild: dapd

BERLIN taz | Psychisch Kranke in geschlossenen Anstalten dürfen vorläufig nicht gegen ihren Willen mit Medikamenten behandelt werden. Das hat der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden. Die Richter bemängelten in dem am Dienstag veröffentlichten Urteil, dass es für solch eine Zwangsmedikation derzeit keine rechtliche Grundlage gebe, auch wenn der gerichtlich bestellte Betreuer des Kranken sich für eine Medikation ausspricht.

Der XII. Zivilsenat des BGH revidierte damit seine bisherige Rechtssprechung. Grund ist ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2011. Karlsruhe hatte damals die bis dato existierende Praxis für unzulässig erklärt, wonach psychisch kranke Straftäter im Maßregelvollzug auch gegen ihren Willen mit Psychopharmaka zu behandelt wurden.

Die Richter mahnten ein neues Gesetz an. Eine Zwangsbehandlung lehnten sie aber nicht grundsätzlich ab. Sie müsse allerdings das letzte Mittel sein und der Betroffene die Chance bekommen, die Behandlung vorab gerichtlich überprüfen zu lassen.

Auch müsse ein unabhängiger Sachverständiger bestätigen, ob die Maßnahme notwendig sei.

Das BGH übertrug dieses Urteil nun auf alle psychisch Kranke, die in geschlossenen Anstalten sind und durch einen gerichtlich bestellten Vormund betreut werden.

Ein Gericht muss entscheiden

„Besonders gravierende Eingriffe in die Rechte des Betroffenen bedürfen schon aus verfassungsrechtlichen Gründen einer ausdrücklichen gerichtlichen Genehmigung“, stellten die BGH-Richter fest.

Doch für eine Zwangsmedikation, die nur der Betreuuer will, war solch eine richterliche Genehmigung bisher nicht nötig. Sie ist es aber bislang sehr wohl in anderen Bereichen: Will ein Betreuer für den Betroffenen eine besonders gefährliche Operation, eine Sterilisation, eine geschlossene Unterbringung oder die Kündigung einer Mietwohnung durchsetzen, müssen Betreuungsgerichte zustimmen.

Auch für die Zwangsmedikation will der BGH nun eine solche Einschränkung der Rechtsmacht des Betreuers, der auch ein Angehöriger sein kann. Der Gesetzgeber solle sich dafür an den Kriterien orientieren, die das Bundesverfassungsgericht für psychisch kranke Straftäter aufgestellt hat, beschieden die Richter.

Urteil ist nicht überraschend

Das Urteil des BGH kommt wegen des Vorläufers aus Karlsruhe nicht überraschend. Es betrifft jedoch viel mehr Menschen. Die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde schätzt, dass jährlich rund 50.000 Betreuungsfälle von Zwangsmedikation betroffen sind.

Unter Ärzten sorgt das Urteil für Unruhe, denn sie dürfen ab sofort keine Zwangsmedikationen mehr vornehmen.

Johannes Georg Bischoff vom Bundesverband Psychiatrie-Erfahrener begrüßte hingegen die Entwicklung. „Darauf haben wir lange gewartet. Die Freiheit, eine eigene Entscheidung zu fällen, muss an erster Stelle stehen. Auch wenn das bedeuten kann, dass eine Person länger in einer Anstalt bleibt“, sagte er.

Das Bundesjustizministerium will die „Konsequenzen, die gegebenenfalls aus dem Urteil gezogen werden müssen“ nun prüfen, sagte eine Sprecherin am Mittwoch. „Uns ist völlig klar: Das muss schnell gehen.“

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11 Kommentare

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  • D
    daniel

    ja patienten brauchen rechte und was ist mit den schutz von anderen z.b von personal und anderen patienten

  • HB
    Hanna Bretzke

    Nach einer 10monatiger Psychose und deren Ausschreitungen die lebensgefährlich waren und sind, braucht ein Psychose Patient seine Medikamente, nur so kann man den schweren psychisch kranken Menschen helfen,

    wer sich da noch dagegen wehrt, kann man nicht verstehen,mit Medikamenten wird großes Unheil verhindert, ansonsten laufen nur noch schwer psychisch kranke Menschen in eine falsche Richtung, weil sie die Realität nicht mehr wahr nehmen können, man muss sie schützen vor sich selber und der Gesellschaft

  • P
    Psychiatrie-Erfahrenen

    Die Betroffenen freuen sich jedenfalls über den BGH-Beschluss:

     

    „BGH Entscheidung zur Zwangsbehandlung: Sie ist ab sofort illegal!

     

    Hurrah

    Karlsruhe, 17.7.2012: Der Bundesgerichtshof hat DEN Meilenstein in der Überwindung der Zwangspsychiatrie bekannt gegeben:

    Keine gesetzliche Grundlage für eine betreuungsrechtliche Zwangsbehandlung

    die beiden Entscheidungen im Einzelnen: XII ZB 99/12 und XII ZB 130/12

    http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&Datum=Aktuell&Seite=2&nr=60970&pos=74&anz=629

    http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&Datum=Aktuell&Seite=2&nr=60971&pos=71&anz=627

     

    Damit sind insbesondere auch die rechtswidrigen Entscheidungen des Landgerichts Berlin 83 T 163/12 vom 21. Mai 2012

    http://openjur.de/u/413604.html

    und des Landgerichts Freiburg vom 16. Mai 2012

    http://lrbw.juris.de/cgi-bin/laender_rechtsprechung/document.py?Gericht=bw&nr=15768

    hinfällig.

     

    Die Ärztezeitung berichtet:

    Zwangsbehandlung von Betreuten verboten

    http://www.aerztezeitung.de/news/article/818174/zwangsbehandlung-betreuten-verboten.html

     

    Die Presseerklärung des Bundesgerichtshof ist hier nachzulesen

    http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&Datum=Aktuell&Sort=12288&anz=604&pos=17&nr=60958&linked=pm&Blank=1

    und lautet auszugsweise:

     

    Der u.a. für das Betreuungsrecht zuständige XII. Zivilsenat hat in zwei Verfahren entschieden, dass es gegenwärtig an einer den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügenden gesetzlichen Grundlage für eine betreuungsrechtliche Zwangsbehandlung fehlt. [...]“

    Quelle:

    „BGH Entscheidung zur Zwangsbehandlung: Sie ist ab sofort illegal!“

    http://www.zwangspsychiatrie.de/

     

     

    Auch der Psychologe Dr. Hans Ulrich Gresch hat schon einen Kommetar zum BHG-Beschluss geschrieben, in dem auch über Falkai und seine Verbindungen zur Pharmaindustrie berichtet wird:

    „Kommentar zu einer bahnbrechenden Entscheidung des BGH“

  • L
    lowandorder

    Seid´s mehrheitlich in Urlaub? was macht die Stallwache? So denn 3.0

     

    Der eigentliche Hammer liegt ja nicht in dem Zynismus und der Aufforderung zum Rechtsbruch des Herrn Peter Falkai, Präsident der Psychatriegesellschaft -

    - Glück ist wenn der Richter sagt: ich bin Jurist. Sie sind der Arzt."

     

    Der Hammer liegt darin, daß die Ärzte Medikamente verabreichen, deren chemische Zusammensetzung und damit Wirkweise ihnen unbekannt sind.Und das gilt nahezu vollständig für alle Medikamente! Wie das?

    Ganz einfach - die Pharmaindustrie verweigert unter dem Deckmantel des Konkurrenzschutzes die Preisgabe der CHEMISCHEN Namen der Wirkstoffe und speist alle Welt mit Phantasienamen ab, die über die tatsächlichen chemischen Verbindungen nichts aussagen.

     

    Das alles wäre so, als würden Physiker oder Chemiker Versuchsreihen als wissenschaftlichen Standards genügend erklären, bei denen sie aber nicht angeben, welche Substanzen, Werkstoffe usw sie verwendet habe.

     

    Damit nicht jemand als Outsider diese Substanzen und deren Wirksamkeit - oder anderer oder Unwirksamkeit - gar schädlicher testet. Sie einer kritischen Prüfung unterzieht und dies gar öffentlich macht.

     

    Als Betroffener und mehrjährig für Arzneimittelzulassungen zuständiger Richter rede ich nicht wie ein Blinder von der Farbe.

    Richterlicher Schutz bei Zwangsmedikamentierung ist dringend notwendig, Zynikern bar jeglicher Rechtsethik wie Herr Peter Falkai gehört das Handwerk gelegt. Keine Frage.

     

    Aber die Macht der Pharmakonzerne und ihrer Lobbyisten gehört endlich auf den Prüfstand.

  • L
    lowandorder

    Der eigentliche Hammer liegt ja nicht in dem Zynismus und der Aufforderung zum Rechtsbruch des Herrn Peter Falkai, Präsident der Psychatriegesellschaft -

    - Glück ist wenn der Richter sagt: ich bin Jurist. Sie sind der Arzt."

     

    Der Hammer liegt darin, daß die Ärzte Medikamente verabreichen, deren chemische Zusammensetzung und damit Wirkweise ihnen unbekannt sind.Und das gilt nahezu vollständig für alle Medikamente! Wie das?

    Ganz einfach - die Pharmaindustrie verweigert unter dem Deckmantel des Konkurrenzschutzes die Preisgabe der CHEMISCHEN Namen der Wirkstoffe und speist alle Welt mit Phantasienamen ab, die über die tatsächlichen chemischen Verbindungen nichts aussagen.

     

    Das alles wäre so, als würden Physiker oder Chemiker Versuchsreihen als wissenschaftlichen Standards genügend erklären, bei denen sie aber nicht angeben, welche Substanzen, Werkstoffe usw sie verwendet habe.

     

    Damit nicht jemand als Outsider diese Substanzen und deren Wirksamkeit - oder anderer oder Unwirksamkeit - gar schädlicher testet. Sie einer kritischen Prüfung unterzieht und dies gar öffentlich macht.

     

    Als Betroffener und mehrjährig für Arzneimittelzulassungen zuständiger Richter rede ich nicht wie ein Blinder von der Farbe.

    Richterlicher Schutz bei Zwangsmedikamentierung ist dringend notwendig, Zynikern bar jeglicher Rechtsethik wie Herr Peter Falkai ghört das Handwerk gelegt. Keine Frage.

    Aber die Macht der Pharmakonzerne und ihrer Lobbyisten gehört endlich auf den Prüfstand.

  • BH
    Böhner Hans Joachim

    Schön wäre es, wenn das höchste deutsche Gericht ab sofort jene Umsetzung dieses Gesetzes ohne wenn und aber beschließen würde.

    Wir haben ja schon lange jenen Ausnahme Bestand.

    Dessen Einhaltung jedoch mehr als fragwürdig und mangelhaft ist.

    Hier reicht eine erneute Gesetzes Vorlage nicht aus .

    Erst wenn ihr eigenes Verschulden unter jenen Strafandrohung fällt wird sich in der Praxis etwas ändern.

    Richter und Ärzte bedürfen der Aufklärung und nicht jene Patienten die unter Ihnen immer noch zu Leiden haben !

    Hans Joachim Böhner

  • MO
    Mirko Olostiak

    Die medikamentöse "Behandlung" von seelischen Störungen führt nur zur Chronifizierung der Schwierigkeiten, nicht zur Genesung. Es gibt keinen "Notfall" der die Vergabe persönlichkeitsverändernder Substanzen rechtfertigt. Die bedenkenlose Vergabe psychiatrischer Drogen kommt lediglich den Herstellern und Vermarkten dieser Gifte zugute und hat hauptsächlich den "Vorteil" dass möglichst viele Patienten in möglichst kurzer mit möglichst wenig Personal "behandelt" werden können.

    Alle nicht"medizinischen" Ansätze der letzten Jahrzehnte zeigen, dass wohlwolende Krisenbegleitung in einem angenehmen Umfeld ohne Zeitdruck sehr viel nachhaltiger wirkt (und im Endeffekt auch preiswerter ist) als psychiatrische Dauermedikation

  • FH
    Franz-Johannes Hoffmann

    M.E. werden durch diese Entscheidung keine Patientenrechte gestärkt, sondern die Gesellschaft vor Ort und die Familienangehörigen auf eine harte Probe gestellt.

    Zwangsbehandlungen wurden auch bisher richterlich genehmigt, wenn der Richter es sich zutraute, darüber zu entscheiden.

    Für chronisch psychisch Kranke und auch akut psychisch Kranke gibt es damit keine schnelle Hilfe mehr.

    Sie können ihren Wahn jetzt "ausleben". Wer einen psyschich Kranken kennt oder in der Nachbarschaft hat, weiß, was das bedeutet.

    Der Kranke macht sich damit zum Feindbild, ohne Chance auf Heilung oder Besserung.

    Wie lange wird diese Gesellschaft das aushalten. Wieviele Kranke werden an ihrer krankhaften Selbstüberhöhung sterben?

    Und das alles obwohl schnelle medizinische Hilfe bisher verfügbar war und bleibt.

  • WB
    Wolfgang Banse

    Selbstbestimmungsrecht

    Das Selbstbestimmungsrecht sollte auch für Psychisch-Erkrankte gelten,im Bezug auf eine Zwangsmedikation.

  • L
    Lagebeurteiler

    Ach was ? Patientenrechte sollen gestärkt werden.

    Was ist denn by the while mit den Rechten für Kinder, wo der Bundestag morgen die Legalisierung der Verstümmelung von Kleinkindern auf den Weg bringen will?

    Armes Deutschland. Diese Politik kann man nur noch verachten.

  • P
    Psychiater

    Ich kann das Urteil nicht verstehen: auch jetzt schon erfolgt in der Regel eine Zwangsmedikation ohne richterliche Genehmigung nur in Notfällen...