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■ Obwohl die Risiken noch unklar sind, werden immer mehr Kinder mit Hilfe der Spermieninjektion gezeugtZwangsbefruchtung mit verkümmerten Spermien

Jahrelang konnte vielen kinderlosen Paaren auch mit der IVF nicht geholfen werden. War der Mann „schuld“ an der Kinderlosigkeit, weil bei ihm die Samenzellen versagten, blieb die künstliche Befruchtung ohne Erfolg. Abhilfe schaffte erst eine neue, 1992 in Belgien entwickelte Methode, die Intracytoplasmatische Spermieninjektion (ICSI).

Bei ICSI wird eine Samenzelle mit einer hauchfeinen Glaskanüle direkt in das Innere der Eizelle eingeführt. Mit dieser Methode können auch mit unbeweglichen Samenzellen Schwangerschaften eingeleitet werden. Der Kinderwunsch kann selbst dann noch erfüllt werden, wenn der männliche Partner überhaupt keine reifen Spermien produziert. Die Ärzte verwenden dann Vorstufen der Spermien, die direkt dem Hodengewebe entnommen werden.

Die Spermieninjektion findet zunehmend Verbreitung. Seit zwei Jahren schon übertrifft die Anzahl der durch ICSI eingeleiteten Schwangerschaften sogar die IVF- Behandlungen. Anfänglich nur eingesetzt, um männliche Fertilitätsstörungen zu überwinden, wird ICSI inzwischen auch angewandt, wenn zum Beispiel nur eine Eizelle zur Verfügung steht. Widersprüchliche Aussagen gibt es über die Risiken der Spermieninjektion. So wird vermutet, daß die „Zwangsbefruchtung“ mit verkümmerten Spermien zu Fertilitätsstörungen beim Nachwuchs führen kann. „Ob die Fortpflanzungsfähigkeit bei den so gezeugten Kindern beeinträchtigt ist, wird man letztendlich erst untersuchen können, wenn diese selbst geschlechtsreif sind“, sagt Professorin Regine Kollek von der Forschungsgruppe Biotechnik, Gesellschaft und Umwelt an der Universität Hamburg. Von den Reproduktionsmedizinern wird die Kritik zurückgewiesen. Sie ahme lediglich „den natürlichen Vorgang des Eindringens eines Spermiums in die Eizelle nach“, heißt es in einer Broschüre der Deutschen Klinik für Fortpflanzungsmedizin in Bad Münder. Die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe fordert entschieden, daß die Spermieninjektion, „die einen revolutionären Durchbruch in der Behandlung der männlichen Subfertilität darstellt“, endlich von den Krankenkassen bezahlt wird.

Die belgische Arbeitsgruppe, die die ICSI-Methode entwickelte, hatte bei bis zu zwei Jahren alten Kindern keine schädigenden Auswirkungen finden können. Im Widerspruch dazu stehen Untersuchungen, die ein australisches Forscherteam vor einem Jahr in der Fachzeitschrift The Lancet veröffentlichte. Die Forscher untersuchten im Unterschied zu den Belgiern auch die Lernfähigkeit der Kinder. Ihr Ergebnis: Bei einjährigen ICSI-Kindern ist im Vergleich zu den IVF-Kindern deutlich eine etwas verzögerte geistige Entwicklung zu beobachten. Wolfgang Löhr

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