: Zwang zum Kotzen
■ Drogenfahndung bei 16jährigem Mann aus Sierra Leone endete im Krankenhaus / Schläge im Revier?
Die Bremer Polizei läßt weiter kotzen. Anfang April hatte Polizeipräsident Rolf Lüken angekündigt, mit der Vergabe von Brechmitteln zur Beweissicherung bei der Fahndung nach Drogendealern sei es in Bremen endgültig vorbei. Doch jetzt berichtet das „Antirassismus-Büro“ von einem neuen Fall, und der endete auch noch in der Notaufnahme des Krankenhauses.
Der Vorgang ist im wesentlichen unstrittig. Der Sprecher der Bremer Polizei, Paul Lapsien, bestätigte gegenüber der taz, daß ein 16jähriger Mann aus Sierra Leone am 18. April am Hauptbahnhof von Beamten aufgegriffen worden war. Nach einer Durchsuchung in der Polizeiwache an der Stadthalle wurde er im Streifenwagen zum polizeiärztlichen Dienst nach Huckelriede gefahren. Dort wurde ihm gegen den eigenen Willen das Brechmittel „Ipecacuaña“ verabreicht. Weder bei der Durchsuchung noch im herausgekotzten Mageninhalt hätten sich Drogen gefunden, versichert der Betroffene; Polizeisprecher Lapsien will zu dieser Frage „keine Auskunft“ geben.
Unstrittig ist wiederum das Nachspiel des Brechmitteleinsatzes. Eine Viertelstunde nach seiner Entlassung wurde der Mann aus Sierra Leone von Polizeibeamten vor der Huckelrieder Wache ohnmächtig aufgefunden. Sie riefen einen Rettungswagen, der den Mann ins Rot-Kreuz-Krankenhaus brachte. Mehrere Stunden blieb er zur Beobachtung in der Notaufnahme der Klinik. Mit Drogen sei der Mann auch vor diesem Tag nie von der Polizei angetroffen worden, schreibt das Antirassismus-Büro.
Bis zum vergangenen Jahr hätte ein solcher Fall zum Alltag der Drogenfahndung gehört. Rund 400 Mal seien die Beamten in einem Zweijahreszeitraum mit Brechmittel auf die Suche nach Beweismitteln gegangen, erklärte Polizeipräsident Lüken öffentlich. Doch seit der vom Antirassismus-Büro angestoßenen Debatte um das erzwungene Kotzen ist die Zahl der Fälle drastisch zurückgegangen. Inzwischen sollte Brechmittel gegen den Willen der Betroffenen überhaupt nicht mehr verabreicht werden.
Doch nicht nur deswegen ist das Antirassismus-Büro mit dem neuen Fall an die Öffentlichkeit gegangen. Der Mann aus Sierra Leone versichert nämlich auch, er sei sowohl in der Stadthallen-Wache als auch im Huckelrieder Revier mehrmals von Beamten geschlagen worden. „Irgendwann kam ein korpulenter Polizist in den Raum, der unter dem Namen Max bekannt ist“, heißt es in der vom Antirassismus-Büro protokollierten Erinnerung des Festgenommenen, „er hielt eine Kamera in der Hand. Ich drehte den Kopf weg. Daraufhin kam Max auf mich zu und schlug mir mehrmals ins Gesicht.“
Blutig sei es später in Huckelriede beim Legen einer Nasensonde zur zwangsweisen Verabreichung von Ipecacuaña zugegangen. „Mehr als einen ganzen Eimer voll“ habe er daraufhin gekotzt, heißt es in dem Gedächtnisprotokoll. „Schließlich forderten sie mich auf, den Eimer auf der Toilette auszuleeren und den Raum sowie die Toilette mit Papier aufzuwischen. Danach mußte ich mich anziehen. Der Polizist packte mich und warf mich raus ins Freie.“
„Um Gottes Willen“, der Mann sei „natürlich nicht geschlagen“ worden, versichert Polizeisprecher Lapsien. Und den Rettungswagen hätten die Beamten später nur angefordert, um auf Nummer Sicher zu gehen. Die Ohnmacht sei nämlich „theatralisch vorgespielt“ worden. Auch das Rot-Kreuz-Krankenhaus habe den Mann später „als Simulant“ entlassen.
Tatsächlich hatte die Ärztin auf den Behandlungszettel geschrieben: „Patient gibt Übelkeit und Brechreiz an. Eher vorgetäuscht.“ Die Polizisten hatten den Rettungssanitätern jedoch nichts davon gesagt, daß dem Mann Brechmittel verabreicht worden war. Stattdessen hatten sie „Verdacht auf Drogenmißbrauch“ als mögliche Ursache der Ohnmacht angegeben.
Oberstaatsanwalt Jan Frisch-muth hat den Fall zur Kenntnis bekommen. Mit der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens wegen „Körperverletzung im Amt“ will er jedoch warten, bis der Mann aus Sierra Leone selber Strafanzeige erstattet hat. Ase
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