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Zuspitzung

■ Der Protest in der DDR wird selbstbewußter

In einen „Stellvertreterkrieg“ sei die Kirche verwickelt, auf ihrem Rücken werde der Streit zweier Linien im Politbüro ausgetragen, erklärte der Konsistorialpräsident Manfred Stolpe, nachdem die DDR-Staatsgewalt jenen Schweigemarsch brutal unterdrückte. Der Kampf zweier Linien scheint aber eher eine hoffnungsvolle Deutung zu sein in einem Land, wo kaum noch jemand Hoffnung hat; ein vergeblicher Interpretationsversuch, um die Kirche aus einer Auseinandersetzung herauszusteuern, in die sie längst schon verwickelt ist.

Vergleicht man den Schweigemarsch vom Montag mit dem politischen Auftritt von DDR-Dissidenten bei der Rosa –Luxemburg-Demonstration vom 19.Januar, so könnte man meinen, die Protestszene befinde sich auf dem Rückzug bis zu jenem Rand, wo das politische Schweigen beginnt. Denn was heißt es anderes, wenn nur noch schweigend dafür eingetreten wird, daß ein Gebet in einer Kirchenzeitung abgedruckt werden darf. Und selbst an der Grenze des politischen Verstummens läßt die Gier der Verfolger nach Ruhe im Land nicht nach.

Zum ersten Mal gingen kirchliche Mitarbeiter auf die Straße, verließen die Linie des „Gesprächs“. Und: Der Schweigemarsch selbst steht in einer Systematik, mit der die Opposition die Staatsgewalt nach schwachen Stellen abklopft. Der Staat wird gezwungen, immer absurder, immer hastiger und hilfloser auf das immer Selbstverständlichere zu reagieren. Die Alternative zwischen Demokratisierung und Terror spitzt sich zu, und die DDR-Behörden schwanken dazwischen, das eine nicht zu wollen und das andere nicht zu können. Neu aber ist vor allem ein Detail: daß sich Leute aus Solidarität verhaften lassen. Weniger die Verhaftung als vielleicht das „We shall overcome“ der Verhafteten könnte ein Signal für die DDR sein. Die Resignation und trübe Bewegungslosigkeit einigt inzwischen die ganze Bevölkerung derart, daß noch mehr Leute auf die Idee kommen könnten, Lebenssinn, Hoffnung und Würde nur noch auf der Straße zu suchen.

Klaus Hartung

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