MIT DEM NIKKEI-INDEX AUF DU UND DU: Zurück zur Normalität
Der Tokioter Aktienindex fällt auf sein Fünfjahrestief ■ Aus Tokio Georg Blume
Endlich ist auch die letzte Traumblase der japanischen Aktienjongleure zerplatzt. Nicht unerwartet, aber doch mit viel Geschrei und Getös purzelte gestern der Tokioter Aktienindex Nikkei zum ersten Mal seit fünf Jahren unter die magische Schallgrenze der 20.000 Punkte. Als sich das Unglück gegen Mittag ankündigte, blieben Rettungsmanöver der großen Wertpapierhäuser aus. So blieb es gestern bei mageren 19837,16 Punkten für den Nikkei, 618,90 Punkte weniger als am Freitag.
Wer am wirtschaftlichen Geschehen beteiligt ist, konnte das symbolträchtige Börsenereignis nicht ignorieren. Schließlich war in den letzten fünf Jahren der Boom der Volkswirtschaft mit dem Höhenflug der Aktienkurse quasi zeitgleich einhergegangen. Finanzminister Tsutomu Hata beruhigte denn auch, daß „die Börsenkurse nicht den Zustand der Wirtschaft wiederspiegeln“. Für die Krise seien schließlich die Wertpapierhäuser verantwortlich.
Japans vier große Wertpapierhäuser — Nomura, Nikko, Yamaichi und Daiwa — waren nämlich im vergangenen Jahr allesamt in handfeste Skandale verwickelt. Alle hatten sie Großinvestoren Vorteile gewährt, die andere Börsenteilnehmer benachteiligten.
Die Abendausgabe der Tageszeitung 'Asahi Shimbun' erklärte den Börsensturz damit, daß „fast alle Banken und Aktienunternehmen für den Finanzabschluß Ende März schlechte Ergebnisse“ erwarteten. Gerade darin liegt das außergewöhnlich Normale der jüngsten Tokioter Baisse: Seit fünf Jahren richtet sie sich erstmals wieder nach den voraussichtlichen Firmenabschlüsse, die in diesen Tagen zum Abschluß des japanischen Finanzjahres im März bekannt werden. In den Jahren zuvor schien sich der Nikkei-Index oftmals in traumwandelartiger Unabhängigkeit von den tatsächlichen Unternehmensbilanzen zu bewegen. Den Börsentakt bestimmten Wertpapierhäuser und Spekulanten. Nun müssen die Aktienkünstler in Tokio wieder Bilanzen lesen.
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