■ Zur Einkehr: Der Weser-Grill
„Was, du gehst zu Kiefert? Barbarisch. Stockhinger ist das einzig Wahre!“ „Ach, Stockhinger, da stimmt doch schon der Ketchup nicht.“ So hört man sie eifrig debattieren, die vermeintlichen Experten der Bremer Currywurst-Kultur. Indes, beide Parteien erweisen sich damit nur als Amateure. Denn der wahre Tempel der Wurstkunst liegt versteckt zwischen „Leffers“ und „Wohlthats Buchladen“ in der Faulenstraße: Der Weser-Grill, ein weißlila lackierter Imbißwagen, der seit über 10 Jahren hauptsächlich von seiner Stammkundschaft und einigen Zufallsflaneuren lebt.
Frau Jaskosch – eine weiß Gott gemütliche Person, die im Oktober ihr 10jähriges Dienstjubiläum als Wurstverkäuferin begeht – weiß natürlich längst an den Blicken und der Eile oder Muße ihrer meist langjährigen Anhänger abzuschätzen, ob's heute mal 'ne Brat mit Senf oder doch wieder 'ne Thüringer Curry sein darf. Mit Fragen wie „Noch 'ne Cola dabei?“ hält sie sich wohlweislich zurück. Denn sie kennt ihre Kundschaft, die solches „McDrive“-Gehabe haßt. Stattdessen spricht sie lieber über die Urlaubspläne oder den Bürostreß ihrer Gäste und beschwichtigt deren Klagen über das grundsätzlich verkehrte Wetter mit Hinweisen auf die Jahre zuvor, in denen es auch nicht besser war.
Und wenn die Wurst in ihren Augen noch nicht gut ist, schickt sie die Gäste einfach nochmal kurz um den Block. Natürlich kommen die dann immer zu früh zurück vor lauter Vorfreude auf das in Bremen einzigartige Wurstvergnügen. Denn ob Brat oder Thüringer, Senf oder Curry: hier stimmt einfach alles, wie selbst Kenner aus den echten Currymetropolen zwischen Bochum und Paderborn gerne bestätigen. Würze, Konsistenz, Currypulver und Ketchup – alles perfekt und optimal dosiert. Und die Brötchen, von denen Frau Jaskosch auch schon mal zwei rausrückt, sind so süßlich und weich, wie jeder professionelle Rotsoßentunker es liebt.
Demnächst, wenn der neue Wagen angeschafft ist, wird es am Weser-Grill auch die – vor allem von den Wurstamateuren immer wieder vermißten – obligatorischen Pommes geben. Und für Frau Jaskosch wird eine neue gastronomische Ära anbrechen, die ihr den Abschied aus dem Geschäft noch unmöglicher machen wird. Denn, seufzt sie genüßlich, „eigentlich wollte ich ja nur ein Jahr hier bleiben. Aber ich rede halt so gerne, und zu Hause ist ja nichts los. Mein Mann arbeitet auch, und die Kunden sind nett, was will man mehr...“
Man kann also hoffen, daß uns Frau Jaskosch noch lange als mütterliche Verwöhn-Station erhalten bleibt.
Moritz Wecker
Weser-Grill, Faulenstr., Öffnungszeiten: Mo.- Fr. 11.00 - 19.00, Sa. ?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen