■ Zur Einkehr: In der Glocke
Es soll ja Menschen geben, die zum Essengehen besonders gerne Hotelrestaurants aufsuchen. Diesen wird beim Betreten des „Beck's in der Glocke“zunächst das Herz aufgehen. Denn der Raum strahlt eben jenen diskreten Charme und die anonyme Zeitlosigkeit aus, um derentwillen die Restaurants großer Hotelketten besonders geschätzt werden. Und auch der obligatorische Blick durch eine bis zum Boden verglaste Front in die Lobby fehlt hier nicht. Beste Voraussetzungen also, um in kosmopolitischen Gefühlen zu schwelgen.
Doch das ändert sich radikal, sobald der erste Gang serviert wird. Denn ob „Büsumer Krabbensuppe“(10,50 Mark) oder „Hochzeitssuppe“(7,50 Mark): Das Entrée entpuppt sich als eine mickrige Tasse liebloser Brühe mit geschmacklosen Einlagen, deren aromatische Ausstrahlung allenfalls mit einer mittelmäßigen Tütensuppe konkurrieren kann. Überdies kommt das Ganze auch noch ohne Brot daher, und wenn man nachfragt, bekommt man anstelle frischen Baguettes je ein aufgebackenes Brötchen. Ein Start, der angesichts des Preises doch für verdutzte Gesichter sorgt.
Aber es geht ja noch weiter. „Gedünstete Schollenfilets mit Lachsmousse gefüllt auf Weißweinsauce, dazu Dillkartoffeln und gemischten Salat“(32,50 Mark) und „Piccata vom Putenbrustfilet auf bunten Nudeln mit Tomatensauce, dazu gemischter Salatteller“(28,50 Mark) sollten es sein. Schwer zu sagen, was dabei schlechter wegkam. Einerseits wässrige Nudeln mit würzloser Pute, andererseits eine in der Sauce ertrinkende Scholle. Spätestens jetzt fühlte man sich eher an Mitropa-Speisewagen denn Hotelrestaurant erinnert. Was noch dadurch verstärkt wurde, daß die Gerichte nicht etwa im fein abgestimmten Rhythmus einer Menüfolge serviert wurden, sondern geradezu hektisch aufeinander folgten. Ganz zu schweigen von der Unsitte, daß man bei den Salatbeilagen nach Büffetmanier zwischen den Dressings zu wählen hatte, anstatt sich in die Obhut eines Kochs mit sicherer Hand begeben zu dürfen, wie der Begleiter zutreffend bemängelte. Und so blieb zu guter Letzt der fade Eindruck haften, daß die Zutaten der recht teuren Gerichte bereits ein längeres halbgares Dasein in der Küche gefristet hatten. Mit solchen Gaumenenttäuschungen läßt sich die Mundpropaganda, auf die der Kellner hoffte, jedenfalls nicht erzeugen. Aber das Bier war wirklich gut – und vielleicht war es geradezu eine glückliche Fügung, daß wir den Blick in die Weinkarte hier erst gar nicht gewagt hatten.
Moritz Wecker
„Beck's in der Glocke“, täglich 12.00 – 24.00 Uhr.
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