piwik no script img

■ Zur EinkehrIm Legendär

Samstagabend. Der Augenblick in der Woche, wo man sich fein macht, die beste Latzhose aus dem Schrank fischt und ihm, ihr oder wem auch immer zärtlich zuruft: „Hömma, gehen wir jetzt mal was spachteln oder was?“

Samstagabend. Der Raum stinkt weiß. Zwei Menschen – soweit man sie als solche unter der eingetrockneten Farbkruste noch identifizieren kann – inmitten halbleerer Farbeimer lassen ermattet die Pinsel sinken. Und sie rief ihm und er rief ihr verliebt zu: „Hömma, wie sieht's den essenstechnisch so aus?“

Wo kein Schrank steht, ist auch keine Latzhose. Logisch. Die Zahnbürsten waren morgens noch an ihrem Platz, abends aber, offenbar von gewissenlosen Einbrechern gestohlen, weg. So schlurften wir los: Mit leerem Magen, pappiger Mundflora und eigenwilliger Ganzkörperschminke auf der Basis der 10l-Eimer „Bahr Umweltweiß“. Der freundlich lächelnde Kellner im Legendär ließ sich nichts anmerken. Väterlich geradezu legte er die Hand in die Farblache auf meiner Schulter und geleitet uns an einen Tisch. Mitten im Restaurant. Da saßen wir also, die Blicke der SamstagslatzhosenträgerInnen Schwachhausens auf uns gerichtet, und suchten in der italienischen Speisekarte nach bezahlbaren geschmacklichen Alternativen zu „Baumarktfarben, von Pinseln getropft“. Nach mehr als einer Stunde Siechtum – doch, bedruckte Servietten schmecken gar nicht schlecht, wie man nach dem ersten Biß noch meint – landeten zwei Steinofenpizzen und gemischte Salate auf unserem Tisch. Die Portionen erschienen riesig, was allerdings auch die Folge der diversen Bierchen gewesen sein kann, die die Wartezeit verkürzten. Knapp dem Delirium tremens entronnen, strahlten wir den Kellner für diese leckere Gabe dankbar an. Der strahlte zurück, hatte ansonsten aber an diesem Abend nicht viel zu lachen. Das schnöselige Pärchen vor uns meckerte über zu kalte Weinbergschnecken und die fischarme Bouillabaise. Die beiden Menschen neben uns müssen mindestens einen vermoderten Autoreifen in ihrem Steaks gefunden haben. Zumindest zitierten sie vom Kellner bis zum Küchenchef alle an ihren Tisch. So lernten wir die gesamte Belegschaft kennen. Alles nette Leute. Zum Abschied drückten wir dem gebeutelten Repräsentanten der Arbeiterklasse einen weißlichen 50er in die Hand, hinterließen zwei Fingerabdrücke auf dem Jacket und schlurften zurück an den eigenen Arbeitsplatz.

Ja, die Arbeiterklasse hält schon zusammen. Manchmal. Proletarier aller Länder, reinigt Euch. zott

Legendär, Schwachhauser Heerstraße 186

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen