Zum Tode Otto Sanders: Von einer anderen Welt
Es war diese Stimme: Ob stoisch oder anarchischer Komiker – Otto Sander war einer der markantesten Schauspieler Deutschlands.
Es war diese unglaubliche Stimme, die man ganz einfach hat und die nicht allein durch intensiven Zigarettengenuss zu erwerben ist. Sie klang wie Schmiergelpapier, sonor und kraftvoll, in zurückgenommenen Momenten aber auch ängstlich und etwas schüchtern oder ganz zärtlich.
Otto Sander war ein Schauspieler, der kaum wahrnehmbar irgendwo hinten auf der der Bühne erscheinen konnte und sofort den Raum ausfüllte, ohne einem Kollegen Platz wegzunehmen. Da betrat nicht nur einer der markantesten Schauspieler der Nachkriegszeit die Bühne.
Sobald er auf der Bühne zu sehen war, hatte man immer auch den Eindruck, als ginge ihn dieses Getue auf der Welt und in Berlin nicht wirklich was an. Und dann sprach er Sätze wie „Lieber etwas dümmer als geistig entwurzelt“. Man hörte sie und wünschte sich, kein anderer möge den Satz noch einmal sprechen.
Das war 1982. Er spielte an der Seite von Edith Clever in Botho Strauß’ „Kalldeway, Farce“: sie eine Violin-Virtuosin, er ein Querflöten-Männchen, das von seiner zur Hysterie neigenden Frau in die Enge getrieben wird. Die Schaubühne war gerade an den Lehniner Platz umgezogen und schon zu schick, um wahr sein zu können. Otto Sander, der am Anfang seiner Bühnenkarriere unter anderem in Heidelberg spielte und 1968 von Claus Peymann an die Freie Volksbühne Berlin geholt wurde, gehörte zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr fest zum Ensemble von Peter Stein.
Ein Engel über den Dächern Berlins
Er gastierte an unterschiedlichen Bühnen und stand zunehmend vor der Kamera. Ein Jahr bevor er an der Schaubühne einen verlorenen Mann in den Wirren frauenbewegter Zeiten spielte, war er ein melancholisch-mürrischer Kapitänleutnant Thomsen in Wolfgang Petersens Verfilmung von Lothar-Günther Buchheims „Das Boot“. 1987 kam dann der Film, in dem er zusammen mit Bruno Ganz im Mittelpunkt stand und die Kamera ein anrührend stoisches Gesicht umrundete. In Wim Wenders „Der Himmel über Berlin“ schwebte Otto Sander als Engel über den Dächern der Stadt, verfolgte mit traurigen Blicken das Treiben der Menschen und wirkte allein durch seine stoische Gelassenheit, als sei er nicht von dieser Welt.
Will man Otto Sander auf ein Genre festlegen, dann war er wohl Komiker, ein melancholischer, leiser, manchmal aber auch anarchistischer oder verzweifelter Komiker. In einem Interview bekannte er sich zu den Marx-Brothers, zu Curt Bois und Samuel Beckett als Vorbilder. „Sie haben diese Art von Anarchie betrieben. Und ich tue es auch – stellvertretend – auf der Bühne und im Film.“
Von „Himmel über Berlin“ an folgten pro Jahr zwei, manchmal auch drei Filme mit so unterschiedlichen Regisseurinnen und Regisseuren wie Margarethe von Trotta, Joseph Vilsmaier und Rosa von Praunheim. Es gab aber auch Jahre, in denen man nichts von ihm hörte.
Hauptrollen bis zuletzt
Er hatte die Diagnose Krebs erhalten, und wenn man ihn in der Berliner Paris Bar oder in einem italienischen Restaurant sah, schien er immer mehr zu verschwinden. Aber auch da war er immer noch einer, der im wahrsten Sinne des Wortes in vollen Zügen weiterlebte und dem die Zigaretten und der Alkohol gute Freunde waren.
Dass er mit dem Krebs kämpfte, wusste man schon einige Jahre. Und da stand er dann noch einmal in einer Hauptrolle auf der Bühne: in Bochum und als Hauptmann von Köpenick in der Regie von Matthias Hartmann. In der Folge sah man ihn als Bühnen- und Filmschauspieler immer seltener, dafür aber immer wieder bei den Öffentlich-Rechtlichen, unter anderem im „Polizeiruf 110“.
Vor allem aber war da diese Stimme im Hintergrund von Fernsehdokumentationen. Man hatte den Eindruck, Otto Sanders sonoren Schmirgelsound immer und überall zu hören, sobald ein Sender eine Tierdokumentation oder eine kulturhistorische Zeitreise ausstrahlte. Zur Ruhe gesetzt hatte sich dieses 1941 in Hannover geborene Stimm- und Schauspielphänomen wohl nie. Vor zwei Jahren machte dann die Nachricht die Runde, er wolle Meret und Ben Becker adoptieren – seine beiden Stiefkinder, die die Schauspielerin Monika Hansen mit in die Ehe gebracht hatte. Schließlich „sollte man mit siebzig seine Angelegenheiten regeln, Ordnung in sein Leben bringen“. Am Donnerstag ist Otto Sander im Alter von 72 Jahren gestorben. (mit epd)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus