Zum Tod von Digne Meller Marcovicz: Eine hartnäckige Dame
Ihre Fotografien wirkten immer spontan, sie hatten etwas sehr Menschliches. Nun ist die Bild-Chronistin der alten Bundesrepublik mit 79 gestorben.
Am Anfang war ich etwas genervt von Digne Meller Marcovicz – und später beschämt darüber. Über eine Kollegin aus der taz-Fotoredaktion kam der erste Kontakt zustande: Digne Meller Marcovicz meldete sich bei mir, hartnäckig, höflich, charmant, eine echte Dame. Sie habe da ein Buchprojekt: eine Art Manga für Jugendliche, das Thema, ausgerechnet (!): die Geschichten von Holocaust-Überlebenden.
Mir stockte der Atem – was für eine Idee. Von einer Lady in den Siebzigern! Das kann doch nicht gut gehen, dachte ich zunächst, und tatsächlich hatte sie noch keinen Verlag, nur Fotos. Aber die waren stark, die trugen, im Grunde war das Buch schon fertig. Ich schrieb einen Artikel über dieses Projekt. Und über Digne Meller Marcovicz, die eine große Fotografin war, wie ich dann lernte. Das Buch „Massel“ fand einen Verlag. Und wurde prompt mit einem Jugendbuchpreis ausgezeichnet.
Digne Meller Marcovicz war eine der führenden Pressefotografinnen Westdeutschlands, und sicherlich die beste Fotografin oder Bild-Chronistin des kulturellen Lebens der alten Bundesrepublik von den Sechziger bis Achtziger Jahren. Heinrich Böll, Ingeborg Bachmann, Gerhard Richter, Werner Schroeter, Ernst Bloch, Rudi Dutschke, alles, was unter den Kulturschaffenden und in der, sagen wir: linksintellektuellen Szene damals Rang und Namen hatte, hielt sie fest.
Und das mit einer ganz eigenen Eleganz. Denn ihre Fotografien wirkten immer spontan, sie hatten etwas Ungekünsteltes, etwas sehr Menschliches, pathetisch gesagt: etwas Ethisches. Man spürte: Sie achtete die Menschen, die sie fotografierte – und die achteten sie. Die Aufnahmen glückten ihr, auch weil sie Teil dieser kulturellen Szene war. Und weil sie selber, fast nebenbei, Kunst erschuf, Foto-Kunst. Auch deshalb berühren ihre Aufnahmen noch heute.
Die Ethik der Arbeiten von Digne Meller Marcovicz gründeten tief, auch in ihrer eigenen Biografie: Ihre Mutter war eine Innenarchitektin, die von den Nazis als Jüdin sicherlich ermordet worden wäre, wäre es nicht ihrem Mann, dem Keramiker Jan Bontjes van Beek, mit viel Mut gelungen, ihre Identität zu verschleiern. Dignes Schwester Cato Bontjes van Beek hatte Kontakt zu der Widerstandsgruppe „Rote Kapelle“ – sie wurde in Berlin-Plötzensee von den Nazis hingerichtet. Vor diesem Hintergrund ist nicht zuletzt Digne Meller Marcoviczs Engagement als Patin in dem Projekt „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ zu verstehen: Rassismus, Intoleranz und Unfreiheit waren ihr zuwider.
Dass ihre vielleicht bekanntesten Aufnahmen ausgerechnet die fast schon ikonen-haften Fotografien Martin Heideggers in dessen Schwarzwaldhütte waren, ein Auftrag des Spiegel – das ist eine bittere, tragikomische Pointe ihres Werks: Ausgerechnet Heidegger, der die Nazis anfangs so toll fand und die Juden nicht mochte, wie zuletzt so deutlich geworden ist.
Es fiel ihr damals schwer, diese Aufnahmen zu machen, hat sie einmal erzählt. Doch Digne war Profi, so sehr, dass sie sich eigens um gleich noch einen Besuch auf der Hütte bemühte. Hartnäckig bombardierte sie Heidegger ein Jahr lang mit Briefen und Postkarten, und wurde schließlich eingeladen, dieses Mal war sie gleich mehrere Tage bei Heidegger und seiner Frau.
„Ich bin Pressefotografin. Da kommt es einem halt unter, dass man solche Leute fotografiert“, hat sie später gesagt. „Solche Leute“, damit meinte sie, schnoddrig-untertrieben, all die Schriftstellerinnen und Filmemacher, die sie festgehalten hat, für die Ewigkeit kann man sagen, wenn man in Zeiten der digitalen Fotografie daran glaubt.
Digne war Filmemacherin, Autorin – und fast zwei Jahrzehnte lang, bis Mitte der Achtziger Jahre, die Kultur-Fotografin des Spiegel. Nicht zuletzt, dass sie sich in dieser Macho-Welt des Hamburger Nachrichtenmagazins durchsetzen konnte, zeigt ihre Courage, mit der sie durchs Leben ging. Bis in ihre letzten Tage. Ich habe Digne Meller Marcovicz als eine große, ganz selbstverständliche Feministin erlebt, obwohl sie das Wort wahrscheinlich nicht so gemocht hätte – schade, dass wir darüber nicht gesprochen haben.
Das letzte große Interview mit Digne für die taz führten Isabel Lott und ich vor zwei Jahren in ihrer Wohnung in Berlin-Pankow: Es war ein magischer Vormittag. Eine ganze Welt tat sich auf in ihren Geschichten, in ihrem lebendigen, faltigen Gesicht und in ihren Zimmern, in der ihr Leben und ihr Werk im Chaos einer echten Kreativen kongenial verschmolzen. Wir lachten viel, und ab und zu schossen uns auch mal die Tränen in die Augen, wenn sie von ihren Kindern und Lieben erzählte. Glücklich waren diese Geschichten nicht immer.
Nun ist Digne gestorben – am Ende haben wir sie geduzt, obwohl sie so eine Dame war. Wir wollten so gern mal wieder einen Tee mit ihr trinken, was das angemessene Getränk für sie war (neben Champagner, so meine Vermutung). Aber dazu ist es nicht mehr gekommen. In der Nacht zu Donnerstag ist Digne gestorben, offenbar friedlich in ihrem Schlaf. Mit 79 Jahren eines reichen Lebens. Ihre Fotos werden bleiben. Auch das ist ein Segen für uns alle.
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