Eiken Bruhn über elterliche Entscheidungszwänge im Lockdown
: Zum Teufel mit dem gesunden Menschenverstand

taz: Hi, wie geht’s denn so?

Gesunder Menschenverstand: Du schon wieder. Was gibt’s? Willst du wissen, ob das Ansteckungsrisiko größer ist, wenn du dich mit drei Freundinnen gleichzeitig draußen triffst oder nacheinander drinnen?

Nein, man darf nur noch eine andere Person treffen. Der Lockdown ist verschärft worden.

Mal was Neues …

Also: Wir können ja die Kinder in die Schule schicken.

Ich dachte, der Lockdown sei verschärft worden?

Schon, aber bei Grundschulkindern entscheiden die Eltern. Jetzt weiß ich nicht. Wenn das große Kind zu Hause lernt und ich im Heimbüro arbeite, muss ich das kleine Kind in den Kindergarten schicken, sonst werden wir alle wahnsinnig.

Hm.

Aber der Kindergarten bittet darum, dass es zu Hause bleibt, weil deren Erzieher*innen nicht mehr können und von denen haben manche ja auch Kinder. Dafür müsste ich Urlaub nehmen. Dann werden wir zwar auch wahnsinnig, aber ich muss keine lesbaren Texte abliefern.

Wenn dein Arbeitgeber mitspielt.

Der ist total kulant und flexibel, da bleibt die Entscheidung an mir hängen.

Haben deine Kinder keinen Vater?!

Doch, aber der ist Erzieher, der muss arbeiten. Wenn ich jetzt Urlaub nehme, wäre ich loyal gegenüber den Erzieher*innen, lasse aber meine Kolleg*innen in Stich. Die haben aber doch auch Kinder und die wiederum Lehrer*innen und Erzieher*innen. Was mach ich denn jetzt?

Du hast Sorgen! Stell dir mal vor, du wärst Berliner DJane oder dänischer Nerzfabrikant! Du jammerst darüber, dass du freie Entscheidungen treffen darfst?!

Musst!

Was wäre dir lieber? Chinesische Verhältnisse? Bayerische?

Jetzt wirst du unfair! Warum höre ich bloß auf dich?! Ohne dich wäre ich im Juli nach Malle geflogen!

Du fliegst doch gar nicht.

Ist doch egal. Dann wäre ich im November mit der Bahn nach Berlin gefahren. Und zum Black Friday wäre ich auch gegangen. Das war nämlich alles erlaubt. Ab jetzt hör ich nicht mehr auf dich, sondern die Regierung!

Welche denn?

Was weiß ich. Deutschland. Oder Bremen. Vielleicht auch Schweden. Irgendwer wird schon sagen, was ich hören will.

Erinnerst du dich noch an den Grund deines Anrufs?

Ach ja, stimmt.

Pass auf, ich muss auflegen, ich habe Merkel in der anderen Leitung, die will bestimmt wieder irgendwas wegen dieser 15 Kilometer. Mach doch einfach, was für dich und die Kinder am besten ist. Jeder ist sich selbst am nächsten. So bleib ich gesund.