: Zum Gedenken an Irma Sperling
■ Beisetzung von NS-Euthanasie-Opfer auf dem Friedhof Ohlsdorf
Am 16. August 1943 wurden Irma Sperling und weitere 227 Mädchen und Frauen in den frühen Morgenstunden mit Bussen von den Alsterdorfer Anstalten in Hamburg zur Wiener Tötungsanstalt „Am Steinhof“ deportiert. Knapp fünf Monate später starb die 14jährige in der angegliederten Kinder-Fachabteilung nach „medizinischen Experimenten im Dienste der Wissenschaft“. Ihre Leiche wurde obduziert, das Gehirn präpariert. Ein Jahr später bekam ihre Familie eine Sterbeurkunde, auf der die typische Todesursache für die NS-Euthanasie-Morde stand: „Grippe, Lungenentzündung“, und eine Rechnung: 2.592,50 RM.
Dank des Engagements ihrer Schwester Antje Kosemund (67) wurden gestern die sterblichen Überreste Irma Sperlings und die von neun weiteren Opfern nach einer Gedenkveranstaltung auf dem Ehrenfeld der Geschwister-Scholl-Stiftung beigesetzt. Über eineinhalb Jahre kämpfte Kosemund, unterstützt von der Stiftung Alsterdorf und der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN), um die Freigabe der „Gehirnpräparate“. Bis vor kurzem waren sie noch Bestandteil der Gehirnsammlung „euthanasierter Kinder“ eines Wiener Klinikums und dienten weiterhin Forschung und Lehre. „Erst als ich mich direkt an den Bundespräsidenten Klestil und Bundeskanzler Vranitzky wandte, beschleunigte sich die Entscheidung“, berichtet Antje Kosemund.
Bei der gestrigen Gedenkfeier auf dem Ohlsdorfer Friedhof für Irma Sperling und die anderen, insgesamt 508 Euthanasie-Opfer der Alsterdorfer Anstalten, hob Sozialsenatorin Helgrit Fischer-Menzel die Verantwortung der Lebenden für die Vergangenheit hervor. „Die Namen dieser zehn Frauen mahnen uns, wie leicht und unbemerkt die Grenze zwischen Recht und Unrecht, zwischen Menschlichkeit und unmenschlicher Grausamkeit überschritten ist.“ Die nationalsozialistische Gewaltherrschaft und der Mord an Millionen Menschen dürfe nie in Vergessenheit geraten. Nur wenn sich die nachfolgende Generation aktiv mit der Vergangenheit auseinandersetze, könne die Gefahr gebannt werden, „daß jemals wieder Gewalt und Terror von Deutschland ausgehen“. Andreas Speit
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