Zum Ende der ARD-Serie Marienhof: Kleinbürger aus den 90ern
Nach fast 20 Jahren hieß es gestern zum letzten Mal "Es wird viel passieren" bei der ARD-Vorabendserie "Marienhof". Es war ein seichter Abgang - wie es sich für eine Soap gehört.
Es gab mal eine Zeit, Mitte bis Ende der 90er Jahre, da verfolgten täglich bis zu 4 Millionen Zuschauer um 18.25 Uhr Freud und Leid der geplagten Kleinbürger vom "Marienhof".
Der Einsatz des Titelsongs "Es wird viel passieren" verhieß dem einen 20 Minuten Lernpause, der anderen Entspannung nach der Arbeit mit einem Teller Miracoli. Aber auf jeden Fall wollten alle Marco Busch sterben, die Lesben Billy und Andrea streiten, Annalena das Foxy fegen, Sandra ausflippen, Carlos Latte servieren, Charly von den Drogen wegkommen, Rollstuhlfahrer Frederick klugscheißern und dem Lederjackenrocker Ronni mit der Welt hadern sehen. Und sich fragen, warum ausgerechnet Frank Töppers der neue Weiberheld der Serie sein sollte.
Die Zeiten sind lange vorbei. Das Aus für die erste Seifenoper im öffentlich-rechtlichen Fernsehen verkündete die ARD bereits im Dezember, weil sich die Quote seit den Glanzzeiten fast halbiert hat und die gewünschten 10 Prozent Marktanteil nicht erreicht wurden. Aber wer schaltet denn heute noch täglich pünktlich den Fernseher ein, um seine Lieblingssoap nicht zu verpassen? Das ist so last century.
Auch möchte heute keiner mehr an die Banalität seiner Existenz erinnert werden. Lieber ist man Superstar, guckt Serien mit Superstars, solchen, die es werden wollen, oder wo alle leben und reden wie Superstars.
Das Kölner Stadtviertel Marienhof ist einfach nicht glamourös und spektakulär genug für den deutschen Vorabend. Also kommen für die letzte Klappe noch einmal alle zusammengelaufen und winken, nachdem die losen Enden notdürftig verknotet und die letzten Glücks- und Rührungstränen verdrückt sind. Es ist ein bisschen wie bei einem Klassentreffen nach 15 Jahren: Man trifft alte Bekannte wieder, deren Namen einem nicht mehr einfallen. Und was ist das für ein unbekanntes Teenagergesicht? Das ist Carolina, die Tochter von Sandra und Carlos? Mein Gott, ist die großgeworden!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Angriffe auf Neonazis in Budapest
Ungarn liefert weiteres Mitglied um Lina E. aus
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Mangelnde Wirtschaftlichkeit
Pumpspeicher kommt doch nicht