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Zulasten der KinderRaus aus unserer Inklusion

Bildungsbehörde und Assistenzgenossenschaft streiten um die Betreuung behinderter SchülerInnen. Nun droht die Senatorin Bogedan (SPD) offen

Unterricht für jetzt doch nicht mehr alle führt zu einer Gesellschaft mit Platz für nicht ganz jeden. Foto: Armin Weigel (dpa)

BREMEN taz | Der „Paukenschlag“ für Familie Winkler kommt mitten in den Schulferien. Ihre zwölfjährige Tochter kommt bald in die siebte Klasse und hat einen offenen Rücken, eine Rückenmarksschädigung – braucht also für die Schule eine persönliche Assistentin. Die wiederum arbeitet bei der Assistenzgenossenschaft (AG). Mit der liegt die Bildungsbehörde nun im Streit: Senatorin Claudia Bogedan (SPD) droht offen, die Zusammenarbeit mit der AG zu beenden. Die Teilnahme von 60 SchülerInnen am Unterricht sei „gefährdet“, erklärt die Behörde. Die Tochter der Winklers gehört dazu.

„Wieder einmal“, sagt Rüdiger Winkler. So wie im vorigen Jahr auch. Und in dem davor. Für die Familie sei das „sehr belastend“. Und die Tochter? „Schlimmstenfalls sitzt sie heulend da und will nicht in die Schule gehen.“

In Bremen gibt es zwei Träger, die im Auftrag der Bildungsbehörde körperlich und geistig behinderte Kinder, DiabetikerInnen oder Asperger-AutistInnen in der Schule unterstützen. 60 persönliche AssistentInnen arbeiten bei der AG und 350 beim Martinsclub, der zudem 125 Klassenassistenzen organisiert.

Für Arne Mahler, den Vorstandsvorsitzenden der AG, handelt es sich dabei um eine „verschleierte Arbeitnehmerüberlassung“, also: Leiharbeit. Er wehrt sich dagegen, der Bildungsbehörde personenbezogene Daten und sensible Vertragsdaten der AG-MitarbeiterInnen zu geben – genau darauf beharre das Amt aber seit Jahren. „Dabei ging es jahrelang auch ohne diese Daten.“

Zudem fordere die Behörde für sich Arbeitgeberrechte ein, etwa die Möglichkeit, AssistentInnen zu suspendieren. Diese hätten sich nicht nur „so weit wie möglich“ in schulische Abläufe einzugliedern, sondern auch „Einzelanweisungen der Schulleitungen“ Folge zu leisten. So stehe es in einem Vertragsentwurf vom März. Für Mahler sind das klare Indizien, dass hier Leiharbeit vorliegt. „Dann müssten aber Arbeitnehmerüberlassungsverträge vereinbart werden“, sagt Mahler, „so schreibt es das Gesetz vor.“

Die Senatorin weist das zurück. Der Vorwurf der AG sei konstruiert, sagt Bogedan. „Wir beanspruchen ausdrücklich weder Weisungsrecht noch Arbeitnehmerüberlassung.“ Eine Hintertür lässt sie sich offen: „Die Schulleitungen verfügen über das Hausrecht und sind verpflichtet, den reibungslosen Betrieb zu gewährleisten.“

Bogedan wirft der AG vor, die Versorgung der Kinder zu gefährden und fordert den Träger auf, bis zur Klärung der Rechtsfragen „im Sinne der Kinder einzulenken“. Auch die AG hat einen Kompromissvorschlag – erst mal weiterzumachen „wie bisher“, ohne Weitergabe persönlicher Daten, ohne Mitbestimmung des Personalrates der Schulen, aber in „enger Kooperation“, wie Mahler sagt. Er wirft der Behörde vor, ihre Rechte über jene der Kinder zu stellen.

Das geht zulasten der Kinder

Rüdiger Winkler, Vater eines Inklusionskindes

Beim Martinsclub hat man derlei Bedenken offenbar nicht. Die Vereinbarung sei „unstrittig“, sagt die Sprecherin Christina Ruschin. Die Schulen hätten aber „eine eingeschränkte Weisungsbefugnis im Rahmen ihres Hausrechts“. Dies beinhaltet, dass das Handeln der AssistentInnen nicht den Lehr- und Lernkonzepten sowie -zielen der Schule widersprechen dürfe. Die Dienst- und Fachaufsicht liege beim Martinsclub, die Behörde werde über Name und Qualifikation der eingestellten Menschen informiert.

Die Behörde möchte gerne „möglichst viele“ persönliche AssistentInnen zum Martinsclub holen, sollte die AG nicht einlenken. „Natürlich werden wir die Eltern nicht im Regen stehen lassen“, sagt Ruschin. Bereits früher gab es ein „Hin und Her“ der MitarbeiterInnen beider Träger, sagt Rüdiger Winkler, auch bei seiner Tochter.

Zwar gehe ihn der Rechtsstreit „nichts an“, sagt er – der Behörde wirft er trotzdem vor, „keine oder falsche Informationen“ an die Eltern zu geben und „relativ arrogant“ aufzutreten. Und Beschwerden? „Bleiben lange liegen“, sagt Winkler. Er sieht vor allem „ein riesiges Durcheinander. Und das geht zulasten der Kinder.“

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