Zukunft des Weltwirtschaftsforums Davos: Kongressveranstalter ohne Kongress
Wegen Corona treffen sich Konzern- und Regierungschefs wieder nicht beim Weltwirtschaftsforum. Nun fragen manche: Wer braucht Davos noch?
Ein Kongressveranstalter ohne Kongress hat ein Problem. Gerade in diesem Fall: Normalerweise begrüßt WEF-Chef Klaus Schwab 50 Staats- und Regierungschefs persönlich, wenn er nach Davos einlädt, dazu Dutzende Vorstände der größten Konzerne weltweit. Tausende Journalistinnen und Reporter berichten.
Davos präsentiert sich eine Woche lang als Gipfel der politisch-ökonomischen Weltelite. Wenn der Kongress vielleicht in diesem Frühjahr – oder doch erst im Januar 2023 – stattfindet, werden wahrscheinlich wieder viele Leute kommen. Wie zahlreich, wird sich zeigen.
Auch betriebswirtschaftlich bedeutet die Absage einen herben Verlust. 2021 sank der Umsatz des WEF im Vergleich zum Vorjahr um etwa 14 Prozent auf rund 315 Millionen Schweizer Franken (300 Millionen Euro). Verantwortlich dafür waren vor allem die ausgebliebenen regelmäßigen Teilnahmegebühren und geringeren Mitgliedsbeiträge der Unternehmen, die das Forum tragen.
WEF angeblich nicht existentiell gefährdet
Das WEF hat etwa 1.000 Mitgliedskonzerne, viele davon mit einem Umsatz im Milliarden-Dollar-Bereich. Trotzdem verfügt das WEF laut eigenem Finanzbericht über Reserven von mindestens 200 Millionen Franken. Durch die Absage des Forums ist es angeblich vorerst nicht existentiell gefährdet.
Schwierig für das WEF gestaltet sich die Weltlage. Die 1971 als gemeinnützige Stiftung gegründete Organisation wurde groß im Zuge der Globalisierung. Sie befürwortet wachsenden Welthandel und setzt sich im Prinzip für offene Märkte ein. Beides funktioniert jetzt jedoch schlechter als früher.
Der Welthandel lahmt, die großen Machtblöcke China, USA, Russland und Europa entfernen sich voneinander. Ob die Freunde der Globalisierung von der Tendenz zur Deglobalisierung profitieren, bleibt abzuwarten. Allerdings lässt sich das Argument auch herumdrehen: Gerade politische und ökonomische Probleme können zusätzlichen Gesprächsbedarf generieren, für den Davos eine Plattform bieten mag.
Ähnliches gilt für die Kritik, die das Weltwirtschaftsforum auf sich zieht. Inspiriert von Schwabs Buch „The Great Reset“ (Der große Neustart) behaupten rechte Globalisierungskritiker, die im WEF zusammengeschlossenen Konzerne verfolgten einen Masterplan zur Umgestaltung der Welt. Schwächt dieser Angriff die Organisation?
Davos profitierte von Globalisierungskritikern
Unklar. Von der Auseinandersetzung mit der linken globalisierungskritischen Bewegung in den 2000er Jahren hat Davos profitiert. Der Kongress wurde größer, vielgestaltiger, kontroverser, das WEF insgesamt einflussreicher. Rechte und linke Kritikerinnen und Kritiker widersprechen sich zwar in vielen Punkten, in gewissen Teilen ihrer Analysen liegen sie jedoch nah beieinander.
Lange war der Einfluss der Veranstaltung gewachsen. Mittlerweile ist das WEF nicht mehr in erster Linie ein Kongressveranstalter, sondern eine Lobbyorganisation, die die Interessen der weltgrößten Unternehmen an die Politik heranträgt. Ein Beispiel für solche Aktivitäten, die kaum vom Radar der Öffentlichkeit erfasst werden, ist die 2019 abgeschlossene Partnerschaftsvereinbarung zwischen den Vereinten Nationen und dem Weltwirtschaftsforum.
Dabei geht es vor allem um die Umsetzung der UN-Nachhaltigkeitsziele. Man kann den Text allerdings auch so lesen: „Die Weltbehörde gewährt den durchs WEF vertretenen Konzernen direkten Zugang zu vielen relevanten Gremien und Programmen“, sagt Oliver Classen von der linken, globalisierungskritischen Organisation Public Eye in Zürich.
Im vergangenen Jahr kooperierten die Vereinten Nationen und das WEF im Umkreis des UN-Gipfels für Ernährungssysteme (UNFSS). Positiv betrachtet machten sich die Agrarkonzerne dabei Gedanken, wie zehn Milliarden Menschen zu ernähren seien. Negativ betrachtet bewarb die Industrie ihre großtechnischen Produkte, ohne auf die Interessen der Entwicklungsländer und der dortigen Kleinbauern Rücksicht zu nehmen.
Türen öffnen kann das WEF für seine Mitgliedsfirmen auch ohne den Kongress – wenngleich sich die öffentlichen und nicht-öffentlichen Aktivitäten im besseren Fall gegenseitig befruchten. Vom Weltwirtschaftsforum wird man noch einiges hören. Oder eben auch nicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Absage von Comic-Vorstellung in Berlin
Keine Debatte ohne Volker Beck