Zukunft des Berliner Tacheles: Ernüchterung nach dem Mythos
In der sanierten Berliner Stadtruine Tacheles eröffnet jetzt das Privatmuseum Fotografiska. Um Kunst scheint es nur zweitrangig zu gehen.
Das neue Stadtquartier „Am Tacheles“ hat im Juli eröffnet, nachdem dort über Dekaden die wohl prominenteste Brache von Berlin war. Geplant von den Schweizer Architekten-Altstars Herzog & de Meuron füllen nun Wohn- und Geschäftsbauten das Areal hinter dem einst für seine wilde Kreativszene berühmten Tacheles.
In den Monaten zwischen Mauerfall und Vereinigung war es einer Künstlerinitiative zu verdanken, dass von der Ruine einer Anfang 1900 gebauten riesigen Kaufpassage überhaupt noch etwas erhalten ist. Im Zweiten Weltkrieg nur wenig beschädigt, verfiel der prunkvolle Bau zu DDR-Zeiten und wurde teils abgerissen.
1998 hatte Berlin das Areal für unglaublich geringe 2,8 Millionen Mark an einen Investor verkauft. Und nun haben Herzog & de Meuron die einstige Monumentalität der Passage zwischen der Oranienburger Straße und der Friedrichstraße anspielungsreich wieder hergestellt.
Hohe, geneigte Fassaden aus hellem, (von Hand!) gebrochenem Klinker scheinen durch eine dystopische Sci-Fi-Stadtruine zu führen. Auf einer Grundfläche von rund 24.000 Quadratmetern entstanden auf dem Gelände 180 Wohnungen, ausschließlich im Luxussegment.
Ein luxuriöses Viertel
Nur die neu eröffneten Ladengeschäfte, REWE und Rossmann wollen nicht recht zu dem luxuriösen Viertel passen, bei dessen Planung soziale Verträglichkeit, Wohnungsnot und städtebaulicher Weitblick offenbar keine große Rolle gespielt haben. Im Schlepptau der Generalplaner haben sich auch die Berliner Büros Brandlhuber + Muck Petzet sowie Grüntuch Ernst mit Wohnbauten verwirklichen dürfen.
Die tragen dann so weltläufige Namen wie „Joux“ oder „Form3“ – mit Quadratmeterpreisen ab 15.000 Euro, Ende offen. Die Nachfrage sei gut, heißt es seitens der Entwickler, hinter denen heute der Investor Aermont Capital steckt. 70 Prozent seien bereits verkauft. Büroflächen sind bisher an die Ersatzteilhändler Autodoc, an Netflix und Pfizer vermietet.
Die erhaltene Ruine des Kunsthauses Tacheles steht unter Denkmalschutz, ebenso seine Graffiti, die nun als Berlin-Folklore sorgfältig präpariert das Treppenhaus bedecken. Herzog & de Meuron haben das Gebäude ebenfalls saniert. Heute, am 14. September, eröffnet dort das Fotografiska Berlin.
Hinter dem, was sich vollmundig ein „Contemporary Museum of Photography, Art & Culture“ nennt, verbirgt sich jedoch eine profitorientierte GmbH. Ausgerechnet sie soll eine Auflage erfüllen, die einst im Bebauungsplan des Areals formuliert wurde: Das Tacheles, hieß es darin, sei dauerhaft kulturell zu nutzen. Ein Museum mag da nicht falsch sein. Wenn es denn eines wäre.
Ohne Sammlung
Museen rechnen sich wirtschaftlich eigentlich nicht. Der internationale Museumsverband ICOM definiert sie als Non-Profit-Institutionen, deren Kernaufgabe es ist, kulturelles Erbe in Form ihrer Sammlungen zu sichern, diese auf dem aktuellen Stand der Wissenschaften zu beforschen und der Öffentlichkeit möglichst ohne Hürden nahezubringen. In Deutschland sind Museen meist öffentlich finanziert und dennoch angehalten, Eintritt zu nehmen.
Fotografiska-Berlin-Initiator Yoram Roth muss sich aber um klassische Museumsarbeit nicht kümmern. Kunst- oder Fotosammlungen hat das Haus gar nicht. Man produziere eigene Ausstellungsexemplare. Und sie gingen nicht in den Handel. Roth ist, anders als die meisten Berliner Privatmuseumsgründer, kein Profisammler.
Der Teilzeit-New Yorker, aufgewachsen in Berlin, ist vor allem Unternehmer, er betreibt nur einige Meter vom Tacheles entfernt das charmant sanierungsbedürftige historische Tanzlokal Clärchens Ballhaus. Er hält auch Beteiligungen am Kater Blau, dem Technoclub auf dem alternativen Stadtquartier Holzmarkt an der Spree. Er scheint zu wissen, wie man Berliner Bauruinen profitabel macht. Zudem ist er CEO der Roth & Sohn GmbH, die das Familienvermögen verwaltet. Roths Vater Rafael war eine Legende im Westberliner Immobilienbusiness.
Seit Kurzem ist Roth Chairman und Mehrheitseigner der Fotografiska Holding AB mit Sitz in Stockholm. Die wurde 2010 von den schwedischen Brüdern Jan und Per Broman gegründet. Von Anfang an gewinnorientiert, unterhält sie mittlerweile vier Filialen. In Shanghai ist eine fünfte in Arbeit.
Großspurig behaupten
Auf der Homepage feiert sich das Fotografiska großspurig als „the global authority on photography“. Geld will es mit dem Verkauf von Eintrittskarten machen. Besser, wenn die Berichterstattung das Marketingnarrativ vom „Museum“ kritiklos übernimmt. Das wertet auch die drei Eröffnungsausstellungen auf. Die lesen sich auf dem Papier zunächst gut.
Mit Solopräsentationen der Südafrikanerin Candice Breitz und Juliana Huxtable aus Texas hat das Fotografiska gleich zwei international renommierte Gegenwartskünstlerinnen aufs Programm gesetzt. Beide leben auch in Berlin. In Video und Bild soll es gegen weiße Überlegenheit und für Queerness gehen.
So baue man zwischen Fotografie und Kunst „Brücken“. Die seien bitter nötig in Zeiten jener gesellschaftlichen „Spaltung“, die Fotografiska-Geschäftsführer Yousef Hammoudah in der Pressekonferenz heraufbeschwört, ohne einen Blick aus dem Fenster werfen zu müssen.
Vor Ort fällt der Befund nüchtern aus. Altbackener können Ausstellungen kaum aussehen. Das gilt insbesondere auch für die Gruppenschau „Nude“. Da sind viele kleine gerahmte Bilder, zu Reihen, Rastern und Clustern zusammengehängt, wie man sie eher aus der Welt der Kunst- und Fotomessen kennt. Wer 30 „female-identifying artists“ so instagramfreundlich zeigt, dem geht es wohl um Masse, nicht um Differenz.
Mehr ein Gastronomiebetrieb
Auf dem Weg in die doch sehr kleinen Ausstellungsboxen kommt man nicht um die Gastronomie herum. Die schick mit Holz, Leder und austauschbarem Hotellobby-Nippes ausgestattete Veronika Bar in der fünften Etage ist schon fast fertig.
Ein Restaurant, ein Café, weitere Bars sind geplant, so dass man sich schon von der räumlichen Gewichtung her fragen kann, ob es sich beim Fotografiska nicht vielmehr um einen Gastronomie- denn um einen Museumsbetrieb handelt, auch die Öffnungszeiten bis 23 Uhr sind extra lang. Im Stockholmer Stammhaus zählt man jährlich über 400.000 Besucher, mit einem ähnlichen Durchlauf rechnet man wohl auch in Berlin.
Der Eintritt liegt zwischen ermäßigten 8 und vollen 16 Euro – und damit über den Preisen, die die meisten öffentlichen Berliner Museen mit weitaus tolleren Räumen und wohl auch besseren Ausstellungen aufrufen. Übrigens gibt es schon eine Autorität in Sachen Fotografie in Berlin. Das ebenfalls privat initiierte C/O Berlin hat täglich zwar nur bis 20 Uhr offen – nennt sich aber auch nicht „Museum“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken