: Zu viel des guten Willens
betr.: „Notlösung‚ Einzelfall‘“ von Sibylle Tönnies, taz vom 11. 5. 00
Dass sich die PDS (oder wer auch immer) „offen für den Kapitalismus aussprechen“ muss, wenn sie eine Veränderung bewirken will, halte ich für zu viel des guten Willens; den haben die wirtschaftlichen Machthaber nämlich nicht! Das Beispiel der Grünen zeigt ja, dass auf ganzer Linie über den Tisch gezogen wird, wer schon zu konziliant einsteigt.
Im Übrigen leuchten am Himmel der Wirtschaftsordnungen auch noch andere Sterne als kommunistisches Zentralkommando und kapitalistischer Eigentumsfetisch; zum Beispiel eine Allmende- oder „Open Source“-Wirtschaft mit frei zugänglichen Produktionsmitteln, die jede(r) – gegen Werkstatt- oder Bürostunden in Selbstkostenhöhe – mitbenutzen kann. Ein solcher Sektor würde auch den (ohnehin äußerst theoretischen) Gegensatz Reform/Revolution sprengen, könnte er doch sowohl „revolutionär“ von unten, durch Vereine, oder besser: durch informelle Klubs gegründet als auch „reformistisch“ von oben gefördert werden. Zugleich verlangt er keine Gutmenschen, denn jeder lebt ja weiterhin auf seine Rechnung – nur dass eben niemand nur durch Besitz sein Leben fristen kann.
Kaum eine linke Partei kommt aber drauf, ernsthaft Non-Profit-Kapital zu fördern. Im seit zehn Jahren rot-grünen München zum Beispiel gibt es zwar ein selbst verwaltetes „Haus der Eigenarbeit“ (HEi) – sogar ein LETS-Tauschring ist dort angeschlossen –, aber das ist zu wenig für einen Großraum mit zwei Millionen Einwohnern! Es gäbe viel zu tun für (Ex-)Fundamentaloppositionelle wie Grüne oder PDS, aber sie trauen sich nicht mehr, nein zu sagen und in wirklich existenzieller Form zu opponieren, über Parlaments- und Medienpräsenz hinaus in praxi am Thron der Machthaber zu rütteln. Revolution muss ja nicht immer heißen, dass man sich gegenseitig den Schädel einschlägt. Dazu ist immer noch Zeit, wenn die etablierten Wirtschaftsmächte irgendwann mal anfangen, einen (ökonomischen) Widerstand ernst zu nehmen – und ihn dann wie üblich kriminalisieren und verfolgen zu lassen. Dass Opposition heute in Deutschland kaum verfolgt wird, ist doch nur ein Zeichen ihrer Zahnlosigkeit.
FLORIAN SUITTENPOINTNER , München
Ohne einer zentralen Planwirtschaft das Wort reden zu wollen, halte ich es für unredlich, ihr Scheitern völlig losgelöst von den damaligen technischen Möglichkeiten zu sehen.
Eine moderne Planwirtschaft in Zeiten von Computer- und Satellitenkommunikation wäre mit dem untergegangenen Karteikarten-Kommunismus sicher nicht zu vergleichen. Und sind nicht inzwischen Wirtschaftseinheiten geschaffen worden, in denen in größerem Umfang zentral geplant wird als in der ganzen alten DDR zusammen? Innerhalb dieser „Planwirtschaften“ wird der individuelle Egoismus sehr wohl als Triebkraft eingesetzt, ohne dass es dafür eines individuellen Eigentums an den Produktionsmitteln oder gar demokratischer Strukturen bedürfte.
ROLF MÜLLER, Trennewurth
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