Zu Besuch in der "Luderschule": Liebesgrüße aus Moskau
In Russland gibt es mehr Frauen als Männer – und eine solvente männliche Oberschicht. Auch emanzipierte Frauen wollen diese reichen Männer fangen und üben in der "Luderschule".
MOSKAU taz | In dem schummrigen Kellerraum am Rande von Moskau sitzen dreißig Frauen im Halbkreis und fixieren mit ihren Blicken den Bildschirm an der Wand. Es riecht nach Damenparfüm, der Streifen "Italienische Verführung - School for seduction" läuft: In der Luderschule steht heute Filmanalyse auf dem Stundenplan. Die Dozentin Ewgenija Steschowa greift zur Fernbedienung, sie drückt auf Pause. "In dieser Szene haben wir ein Paar kennengelernt. Sie ist eine typische Business-Lady. Er liebt sein Auto mehr als seine Frau. Was soll diese Frau jetzt tun?"
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Steschowa wendet sich an die Kursteilnehmerinnen, drei Frauen melden sich. "Sie soll ihn dazu bringen, dass er eifersüchtig wird", ruft eine Frau in Stöckelschuhen. "Sie soll ihn verlassen. Er ist ein Weichei", schlägt eine andere vor. Eine Frau mit Marilyn-Monroe-Frisur steht auf und sagt: "Sie sollte Interesse an seinem Hobby zeigen. Als mein Freund früher ganze Nächte mit seinen Computerspielen verbracht hat und mich komplett ignoriert hat, habe ich ihn nach seinem Lieblingsspiel gefragt. Er hat dann ganz begeistert davon erzählt - und die Beziehung war gerettet." Genau! Die Dozentin nickt zufrieden.
Ein bisschen kommt man sich hier in diesem Keller vor wie in einem Selbsthilfekurs. Wer in der Luderschule aber oberflächliche Barbiepuppen erwartet hat, wird enttäuscht. Die meisten Frauen hier haben einen Job oder studieren, erzählt Schulleiter Wladimir Rakowski. In ihrer Freizeit besuchen sie seine Kurse. "Selbst- und Männerwahrnehmung" heißen die, "Wie mache ich einen Mann in mich verliebt und führe eine harmonische Beziehung?" oder: "Wie heirate ich erfolgreich einen würdigen Mann?".
Den theoretischen Unterricht ergänzt ein Praxiskurs in Verführungskunst, der aus Übungen in Catwalking, erotischem Tanz und Stilfindung besteht. Diese Disziplinen unterrichtet Ewgenija Rakowski. "Wladimir erklärt, wie man einen Mann manipulieren kann - ich zeige, wie das in der Praxis geht", sagt die 24-Jährige. 230 Euro kostet die Teilnahme für vier Abende.
In der verspiegelten Wand des Kellerraums öffnet sich plötzlich die Tür. Eine Blondine in schickem Kostüm betritt den Raum. Es ist Anja, eine der Kursteilnehmerinnen, sie ist spät dran. Ihren Nachnamen will sie lieber nicht in der Zeitung genannt sehen. Anja ist 27 Jahre alt und Wirtschaftsprüferin bei einer der weltweit größten Beratungsgesellschaften. Heute hat sie ein wichtiges Projekt für eine großes Energieunternehmen abgeschlossen, das musste gefeiert werden. Den Kurs wollte Anja trotzdem nicht verpassen. Seit einem Jahr besucht sie die Luderschule - seit ihre letzte Beziehung geplatzt ist. "Wir hatten eine Putzfrau, aber mein Freund wollte, dass ich selber den Fußboden wische", erzählt sie, "auch wenn ich erst abends um neun von der Arbeit kam." Anja trennte sich und buchte einen Rakowski-Crashkurs.
Solche Intensivkurse organisiert der "Luderlehrer" hin und wieder: in Paris, im ägyptischen Hurghada oder irgendwo in der russischen Provinz. In vier weiteren Städten Russlands und der Ukraine gibt es Filialen der Luderschule. An Teilnehmerinnen mangele es auch dort nicht, sagt Rakowski.
Laut Statistik kommen in Russland 1.147 Frauen auf 1.000 Männer. Nicht nur deshalb ist Rakowskis Geschäftsmodell ein Erfolg. Der Hauptgrund sei die Konjunktur auf dem gehobenen russischen Brautmarkt, erklärt die Soziologin Elena Kotschkina: "In relativ kurzer Zeit entstand hier ein Clan von männlichen Topverdienern." Dabei gebe es einen Mangel an Frauen, die die gesellschaftliche Rolle als Begleiterin erfüllen könnten. Die Luderschule bediene diese Nische. Es gehe dabei nicht um elitäre Prostitution, sondern um Frauen, die ein Leben mit einem - für russische Verhältnisse sehr hohen - Einkommensniveau führen können. "Dafür reichen ein Barbie-Aussehen und Fremdsprachenkenntnisse nicht. Man braucht auch Köpfchen", erklärt die Gender-Expertin. Der Verstand der Frau müsse es mit der russischen Machopersönlichkeit aufnehmen. Die könne man nicht verändern, also müssten die Frauen lernen, die zweite Geige in einer Beziehung zu spielen.
Das jedoch sollte nur oberflächlich so erscheinen - wenn man Rakowskis Logik folgt. Denn eine kluge Frau, ein Luder, kann einen Mann wie ein Küchengerät oder ein Auto steuern, behauptet der studierte Psychologe. Die Frau soll dafür zur richtigen Zeit geschickt in die passende Rolle schlüpfen: strenge Chefin, sorgende Mutter, braves Mädchen, kluge Frau.
Die Soziologin Kotschkina sieht diese Entwicklung kritisch. Durch die scheinbare Macht über Männer werde die Frauenunterdrückung nur kaschiert. Das Patriarchat erlebe dadurch eine Renaissance, meint sie. Laut einer aktuellen Umfrage des Allrussischen Zentrums für Meinungsforschung ist Unabhängigkeit die Eigenschaft, die sich russische Männer bei ihren Partnerinnen am allerwenigsten wünschen - nur 2 Prozent der Männer schätzen sie. Die meisten männlichen Befragten setzten andere Merkmale ganz oben auf die Liste erwünschter weiblicher Eigenschaften: 49 Prozent wollen eine "gute Hausfrau", 44 Prozent eine "äußerlich attraktive" Partnerin.
Das Äußere spielt auch in Anjas Leben seit dem Styling-Check bei Ewgenija Steschowa eine wichtige Rolle. "Sie wirkt seither sehr gepflegt", sagt eine ihrer Freundinnen. Und Anja selbst sagt: "Männer machen mir ständig Komplimente, seitdem ich mein Haar blondiert habe." Die neue Farbe hatte Rakowski ihr schon in der ersten Unterrichtsstunde empfohlen. Mit dunklen Haaren habe sie streng und einschüchternd auf Männer gewirkt. Trotz des Erfolgs mit ihrer Frisur hat Anja noch keinen Traummann gefunden. Und so soll er sein, ihr Mr. Right: äußerlich Sean Connery, innerlich "ein richtiger Mann". Mit ihm will Anja dann eine Familie gründen und ein eigenes Haus bauen lassen. Dort möchte sie ein niedliches Mädchen sein. Eines, das man gern umarmen will. Die Rakowskische Lehre hat gewirkt. Ihre starke, emanzipierte Seite hebt sich Anja dann für ihre Arbeit auf.
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