Yelizaveta Landenberger Eastsplaining: Zu Besuch bei Olha Kobyljanska
Czernowitz, 12. Juli. Verschlafen blicke ich auf die Exponate im Museum der Schriftstellerin Olha Kobyljanska. In diesem kleinen Haus verbrachte sie ihre letzten Jahre bis zu ihrem Tod 1942.
Die freundliche Museumsmitarbeiterin sagt mir, solche schlimmen Luftangriffe habe sie bisher nicht erlebt. Mit einem Kommentar zur vergangenen Nacht scheinen heute alle Gespräche in der Stadt zu beginnen. Frühmorgens auf dem Weg zu meiner Unterkunft hörte ich das unheilvolle Brummen einer Shahed-Drohne. Fünf russische Geschosse fing die Luftabwehr ab, es gab laute Knalle. Die Trümmerteile töteten vier Menschen und verletzten viele weitere. Bislang hatte man sich hier im Südwesten des Landes recht sicher gefühlt.
Ich bin die einzige Besucherin, und die Museumsangestellte beschließt ungefragt, mir eine Führung durch die Ausstellung zu geben. Die Bücher, das Bett, die bunten Wandteppiche im Schlafzimmer, die bestickte Bluse – all das sei original, schildert sie begeistert.
Die Wände sind regelrecht tapeziert mit Schwarzweißfotografien, Buchcovern, Zeitungen und Zitaten der Schriftstellerin. Unter einer Landschaftsaufnahme des idyllischen Karpatengebirges steht eine weiße Büste, die Kobyljanskas bestimmte Gesichtszüge in einem Schal verhüllt darstellt. Wie damals üblich, erhielt sie als Mädchen nur vier Jahre Schulbildung, machte danach als Autodidaktin weiter. Aufgewachsen in einer multinationalen Familie in der multikulturellen Bukowina, beherrschte sie auch Polnisch. Ihre Texte schrieb sie anfangs auf Deutsch. Doch dann fasste sie den Beschluss, eine ukrainische Schriftstellerin zu werden – eine „Arbeiterin meines Volkes“, wie sie sich ausdrückte.
Auf einem Foto aus dem Jahr 1901 steht Kobyljanska mit verschränkten Armen neben ihrer Freundin Lesia Ukrainka – ebenfalls eine wichtige ukrainische Schriftstellerin und Feministin. Die häufigste Frage, die sie zur Zeit von den Besucher:innen erhalte, sei diejenige, ob die beiden eine lesbische Beziehung hatten, erzählt mir die Museumsmitarbeiterin sichtlich amüsiert. Da kursiere wohl ein Tiktok-Video. Und ja, in der Tat müsse sie sagen, Stellen im Briefwechsel der Autorinnen offenbaren eine innige Beziehung. Aber Liebe existiere nun einmal in verschiedenen Formen.
Zum Schluss führt sie mich in den letzten Raum, um mir das Highlight der Ausstellung zu präsentieren: kleine Glaskästen mit Bühnenmodellen der Inszenierung der „Scholle“, oder „Erde“, aus dem Jahr 1982. Das Schlüsselwerk von Kobyljanska wurde damals im nach ihr benannten städtischen Theater auf die Bühne gebracht.
Yelizaveta Landenberger schreibt über Kultur aus Ost- und Mitteleuropa.
Ein Goethe-Zitat im deutschen Original ist dem Roman als Epigraph vorangestellt: „Es liegt um uns herum gar mancher Abgrund, den das Schicksal grub, doch hier in unserem Herzen ist der tiefste.“ Kobyljanska interpretiert in der „Scholle“ die biblische Geschichte von Kain und Abel modernistisch und verlagert sie in ein Dorf in der Bukowina. Ein Bruder ermordet den anderen, um Land zu erben.
Die Museumsangestellte macht die Beleuchtung der Miniaturbühnen an, in den Glaskästen erscheinen filigrane Figürchen in regionaler Tracht. Eine Art quadratischer Holzpflug bildet die Basis für die verschiedenen Bühnengestaltungen. Mal dient er als Bootssteg, mal als Tisch, mal hängt er dekorativ an der Decke. Mit dem Pflug als Symbol habe man auf den volkstümlichen Charakter von Kobyljanskas Schaffen verweisen wollen, erklärt mir die Mitarbeiterin.
Sie entschuldigt sich dafür, dass eines der Bühnenmodelle kaputt ist. Die Glühbirne sei durchgebrannt, der Elektriker gerade an der Front. Man müsse sich gedulden, bis er wieder zurückkehrt, schließlich brauche es nicht irgendeine Lampe, sondern eine mit exakt abgestimmtem Licht. Im dunklen Kasten kann ich die Umrisse kleiner uniformierter Männchen erkennen.
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