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Zivilgesellschaft in Dresden"Hier versagt das Bürgertum"

Der Naziaufmarsch hat Dresden vereint, glaubt Aktivist Christian Demuth. Und seit dem Marwa-Mord gebe es Sorge ums Image. Anti-Nazi-Aktivisten werden weiterhin als "linksextrem" verunglimpft.

Blick auf Dresden. Bild: Tim LehmannCC-BY-SA
Michael Bartsch
Interview von Michael Bartsch

taz: Herr Demuth, in Dresden gab es vor dem 13. Februar stets kontroverse Diskussionen. Diesmal sind sich alle einig im Kampf gegen rechts?

Christian Demuth: Wir begrüßen den Wandel, wenn nun die CDU-Oberbürgermeisterin Helma Orosz und andere klar Front gegen Rechtsextremismus machen. Man lernt tatsächlich. Die Stadt sprüht nun zum Beispiel offiziell weiße Rosen auf die Straße. Für eine ähnliche Aktion wurden Mitglieder unseres Vereins einmal fast zwei Stunden von der Polizei festgehalten und danach von Nazis verprügelt.

Wem ist das zu danken?

Live-Ticker

Live-Ticker vom Nazi-Aufmarsch und den Gegen-Aktionen. Unsere Reporter berichten am Samstag live aus Dresden.

Da spielen gewiss die Erfahrungen des Vorjahres hinein, als sich die CDU zunächst dem "GehDenken" strikt verweigerte, die Bürgermeisterin in letzter Minute noch etwas machen wollte und die Aktion kläglich scheiterte. Seit mit der Ägypterin Marwa El Sherbini die Frau eines ausländischen Doktoranden in Dresden ermordet wurde, gibt es Betroffenheit, aber auch kalkulierte Sorge um den Ruf der Stadt, um ihr wissenschaftliches und ökonomisches Image. Nicht von ungefähr hat der Rektor der Uni die Menschenkette angemeldet. Jetzt werden Leute wach, die lange nichts unternommen haben.

Sie haben keine Bedenken, das Bündnis "Dresden Nazifrei" zu unterstützen, das einen Aufmarsch blockieren will?

Ich lasse es mir nicht nehmen, als Demokrat friedlich gegen Nazis zu protestieren. Auch Blockaden sind vom Bundesverfassungsgericht gedeckt. Ich kann nur an alle appellieren, dabei auch gewaltfrei zu bleiben. Mich stört dabei aber etwas anderes, nämlich unverändert altes Denken. Es scheint, als wolle man die Nazidemo und die Gegendemos auf die Neustädter Elbseite verbannen. Die "Guten" auf der südlichen Elbseite bilden dann die Menschenkette. Da schimmert immer noch die überholte Gleichsetzung von rechts und links durch. Aktive Gegenwehr wird kriminalisiert, wie die Durchsuchungen beim Bündnis zeigten. Wenn man gegen rechts ist, ist man Linksextremist. Aber wir haben in Sachsen ein Rechtsextremismus-, kein Linksextremismus-Problem!

Immerhin hat auch der CDU-Ordnungsbürgermeister in der Anhörung zum Versammlungsgesetz geäußert, dass Dresden die Polarisierung allein dem Nazimarsch zu verdanken hat.

Es gibt einen Lernprozess bei ganz vielen Leuten, auch vielen Verantwortlichen, keine Frage. Aber das Grundmuster bleibt bestehen. Das führt dann dazu, dass die Stadt den Nazis den Schlesischen Platz vor dem Neustädter Bahnhof zuweist. Von hier aus wurden aber die Dresdner Juden in die Vernichtungslager deportiert! "Stillos" ist nur eine Bewertung, die einem da einfällt.

Gibt es überhaupt eine Chance, diesen Aufmarsch jemals zu unterbinden?

Auch eine Menschenkette verhindert den Naziaufmarsch so wenig wie ein Versammlungsgesetz. Die werden in 20 Jahren noch kommen, das ist ihr wichtigster Aufmarsch in Deutschland. Das neue sächsische Versammlungsgesetz erweist sich als wirkungslos und zeigt eigentlich nur, wie wenig der Ruf nach dem Staat hilft und wie sehr es dafür auf Zivilcourage ankommt. Andere Städte wie Leipzig oder Jena haben es geschafft, solche dumpfen Aufzüge sozusagen hinauszuekeln, den Nazis die Lust zu nehmen.

Warum braucht Dresden dafür länger?

Ein Dresdner Problem besteht ja darin, dass hier das Bürgertum versagt, dass sich die Mitte der Gesellschaft nicht klar gegen alte, braune Ideologien positioniert. Aber ein verständlicher Grund für diese Zurückhaltung ist auch, dass die Verantwortlichen Dresden Jahr für Jahr in eine Art Belagerungszustand versetzen und völlig übertrieben vor Randalen warnen. Bei den Polizeisperrgürteln quer durch die Stadt verliert mancher die Lust, an diesem Tag auf die Straße zu gehen. Und wenn dann, wie im Vorjahr, die Auflagen für die Nazis milder ausfallen als für das "GehDenken", ist das merkwürdig. Andererseits sorgen viele Antifa-Anhänger mit ihrem Räuber-und-Gendarm-Spiel und ihrem martialischen Auftreten auch nicht für mehr Akzeptanz.

Bevor der Dresdner Marsch zu einem straff organisierten und isolierten Großereignis der braunen Szene wurde, gab es nicht wenige Dresdner, die sich im offiziellen Gedenken der Stadt nicht wiederfanden und sich dem "Trauermarsch" anschlossen. Jetzt gehen sie nicht mehr offen dorthin.

Die DDR hatte die Propaganda aus dem Goebbels-Ministerium im Grunde dankbar aufgenommen, um gegen die angloamerikanischen Imperialisten Stimmung machen zu können. Die Instrumentalisierung dieses Angriffs begann ja schon wenige Tage danach. Das wirkt ebenso fort wie der "Mythos Dresden", und dieses Potenzial sprechen Nazis an, wenn sie etwa vom "Bombenholocaust" reden.

Haben die Dresdner angesichts der Toten und der Zerstörungen nicht auch ein Recht auf stille Trauer?

Solange die Nazis nicht wegbleiben, genügt stille Trauer allein nicht. Zudem muss man fragen, wer denn die Verantwortung dafür trägt, dass dieser Nazimarsch in den vergangenen 15 Jahren solche Ausmaße annehmen konnte. Es hat seitens der Landesregierung oder der Stadtspitze nie eine echte Gegenwehr gegeben. 2010 wird nun das erste Jahr sein, in dem der Ministerpräsident und der Innenminister in der Menschenkette stehen werden.

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10 Kommentare

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  • F
    fuxx1980

    "Linke Gewalttäter brannten Barrikaden ab, Schlugen bei einer Deutschen Bank Scheiben ein, zerstörten Polizeifahrzeuge und griffen in einer menschverachtenden Art und Weise die eingesetzten Polizeibeamten an, beleidigten und verletzten diese unter dem sehenden Auge von Europaparlamentariern, Bundestagsmitgliedern und Landtagsmitgliedern."

    (Quelle: http://www.dpolg-sachsen.de/aktuelles/150210-presserklaerung/index.html).

     

    Ich bin ja froh, dass Herr Demuth auch das "Räuber-und-Gendarm-Spiel" der Linksextremisten verurteilt. Wobei, die linken Gewalttäter natürlich die Gendarmen, also die Guten sind.

     

    Was mich auch noch interessieren würde, wäre der Versammlungsplatz für die Demo rechts, den Herr Demuth vorschlüge, wenn nicht den Schlesischen Platz vor dem Neustädter Bahnhof, von dem aus Juden deportiert wurden. Vielleicht den Alaunplatz?

  • U
    Ulli

    Anti-Nazi-Aktivisten, die Steine auf Polizisten werfen und Autos in Brand setzen sind auch nicht besser als Nazis. Für diese ist "linksradikal" die genau richtige Entscheidung.

  • R
    randOM

    Das kann ich nur unterstützen, HerrDemuth hat 100% Recht. Na mal sehen, was morgen hier passiert...

  • IF
    Ingrid Franz

    Warum nur immer diese Linksdoktrin?! Warum kein Recht aus freie Meinungsäußerung? Warum keine Trauer um unsere Toten? Warum wird alles Linke so verharmlost?

  • I
    ich

    der skandal is doch eigendlich das die "Sorge um den Ruf der Stadt, um ihr wissenschaftliches und ökonomisches Image" wichtiger sind als das real existierende rechtsextremismus problem in den griff zu bekommen oder überhaupt ein zu gestehn.... genauso wie die kriminalisierung der protestes und die hetzt gegen links die hier nicht das problem ist..... aber es sind doch zu viele rechte in strategischen positionen die nazis mit offenen armen empfangen....

  • G
    grifter

    Die Position der Linken zu dem Aufmarsch der Nazis in

    Dresden ist verlogen, solange diese Leute nicht begreifen wollen, dass der alliierte Angriff auf

    Dresden zu recht erfolgt ist . Der 2. Weltkrieg

    wurde auch durch Dresden und Hiroshima siegreich

    beendet und das auch zu recht. Dies gilt heute noch

    genauso wie vor 65 Jahren. Alles andere ist Geschichts-

    klitterung.Das muß man den Nazis und leider auch den

    Linken immer wieder klar machen.

  • A
    axel

    Lesenswert dazu:

     

    "Das Fürchten gelehrt

    Das Extremismus-Schema, das die Demokratie schützen soll, erweist sich als demokratiegefährdend"

    von Alex Demirovic/Paulina Bader

    in derFreitag vom 12.02.2010

     

    http://www.freitag.de/positionen/1006-extremismus-demokratie-mitte-demirovic

  • HW
    herr wohlfeil

    guter artikel, die politik der provinz-cdu in sachsen nazis gegenueber waere seit den fruehen 90ern eine reportage wenn nicht einen dokumentarfilm wert. vor allem die taktik, den nazis die zuegel locker zu halten, damit die die linken attackieren koennen, scheint eine ostelbische gemeinstrategie zu sein. verstrickungen der polizei in nazikreise wurden entdeckt und unter den teppich gekehrt, und der just nach der wende installierte volkssender mdr spielt sicher eine wichtige rolle bei der gestaltung von demokratie in diesem freistaat, um es mal so auszudruecken.

  • L
    Lars

    Die Mehrzahl der Dresdner interessiert doch gar nicht wirklich, dass ihre Stadt zum Inbegriff der modernen Nazimärsche geworden ist. Böse waren bisher immer die, die darüber berichten.Der Verein Bürger.Courage beispielsweise wurde doch schon als linksextrem empfunden. Die konservative Stadtratsmehrheit steht der künstlerisch liberalen grünen Neustadt schon immer skeptisch gegenüber und wollte und will mit diesen Eliten keine gemeinsame Sache machen. Das zeigte sich bei der Brückengeschichte, beim Straßenausbau in der Neustadt und auch bei der Verhinderung der Naziaufmärsche. Dabei muss man immer erwähnen, dass die Ehrung der Bombenopfer ja eigentlich immer Sache der Bürgermeisterin war und ist.

    Etwas weiter südlich ist übrigens die Einstellung der Mehrheitsbevölkerung offensichtlicher, hier stellt die NPD im neuen Großkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge schon länger Bürgermeister.

    Der Dresdner Oberstaatsanwalt propagiert, um die Probleme in den Griff zu bekommen, übrigens bei jeder Gelegenheit Law and Order. Es also auch Morgen einiges aus dieser Richtung zu befürchten.

  • M
    Maddin

    Herr Demuth, wer sind Sie eigentlich, dass Sie den Menschen vorschreiben wollen, wie diese zu trauern haben?

    Was erdummdreisten Sie sich, den Normalbürgern pauschal Versagen vorzuwerfen?

    Sind Sie so eine Art Ortskommandant? Und wer nicht linientreu mitprotestiert, wird notiert? Und morgen steht's dann im taz-Parteiorgan?