: Zivilcourage in Halle
betr.: Offener Brief an den Stadtrat der Stadt Halle
Die Vorgänge zum Aufmarsch der Neonazis am 26. 8. 00 verdeutlichen ein politisches Fiasko in Halle. Die Ordnungs-/Sicherheitsbehörde, welche für die Anmeldung und Verbotsverfügung verantwortlich war, zeigte sich nicht in der Lage, mit der erneuten Anmeldung einer rechtsextremen Gruppe umzugehen.
So wurde die geplante Nazi-Demonstration der Öffentlichkeit eher durch einen Zufall bekannt. Das Zurückhalten dieser Information veranschaulicht, dass die Anmeldung entweder nicht ernst genommen wurde oder die Behörde überforderte. Letzteres ist anzunehmen, wenn man das dilettantische Vorgehen bei der Formulierung der Verbotsbegründung betrachtet. Die zu erwartenden Behinderungen des Laternenfestes sollten das Verbot begründen. Fast lächerlich, denn das Versammlungs- und Demonstrationsrecht ist eines der höchst gestellten Rechte in Deutschland. So verwunderte es nicht, dass schon das Verwaltungsgericht Halle das Verbot wieder aufhob, da die Argumentation den strengen Anforderungen an Versammlungsverbote nicht genüge.
Die Bürgerinnen und Bürger, darunter Einzelpersonen des StudentInnenrates der MLU, der PDS, des DGB, der Initiative Zivilcourage sowie AntifaschistInnen, welche begannen Gegenaktivitäten zu organisieren, standen dabei vor dem Problem der Ignoranz der Amts- und Würdenträger der Stadt Halle. Den geplanten Aufmarsch in einer größeren Öffentlichkeit zu thematisieren scheiterte letzten Endes primär daran, dass die viel zitierte und vehement geforderte Zivilcourage in Halle anscheinend ein Fremdwort vor allem für öffentliche Personen ist.
So konnte den Rechtsextremisten nicht das Podium entzogen werden, um ihre fremdenfeindliche, antisemitische und menschenverachtende Propaganda zu verbreiten, auch wenn mehrere hundert Menschen an der Marschroute, sowie am Kundgebungsplatz der Neonazis ihre Wut zum Ausdruck brachten und die Rechtsradikalen in „Nazis Raus“-Rufen untergingen.
Aber es ist kein Alibi für die Verantwortlichen der Stadt, dass selbst organisierter Protest Schlimmeres verhinderte. Während der gesamten Woche wurden Tag für Tag von engagierten Menschen Presseerklärungen verschickt, Aufrufe in der ganzen Stadt verteilt und Plakate geklebt. Ohne diese Vorbereitungen hätte wahrscheinlich die Mehrheit der Hallenserinnen und Hallenser von diesem Skandal aus den Sonntagszeitungen erfahren.
Dass sich zunehmend Rechtsextremisten in Halle organisieren und ihnen solche Veranstaltungen den Rücken stärken, ist kein Geheimnis. In Halle existieren mehrere aktive Neonazi- und Skinheadgruppen, die sich zunehmend etablieren und strukturieren.
Wir fordern von der Stadt Halle eine aktive Beteiligung an und Unterstützung von antirassistischen und antifaschistischen Initiativen und eine Ausschöpfung aller Möglichkeiten bei der Bekämpfung rechtsextremer Strukturen in Halle.
BÜNDNIS GEGEN RECHTS, Halle/Saale
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