Analyse: Zinssenkung möglich
■ Anstelle der Bundesbank könnte schon bald die EZB die Zinsen senken
Wenn der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), Wim Duisenberg, die Finanzmärkte über den ersten Euro-Leitzins im unklaren lassen wollte, ist ihm dies mit seiner Pressekonferenz am Dienstag abend gelungen. Das Heer der professionellen Zinsprognostiker im In- und Ausland zeigte sich am Tag danach in zwei Lager gespalten. „Die Hoffnungen auf eine Zinssenkung durch die EZB sind durch Duisenbergs Bemerkungen nicht gestärkt worden“, sagte Commerzbank-Volkswirt Jürgen Pfister. „Die Chancen für eine Zinssenkung am 5. Januar sind gut“, hielt Joachim Fels von Morgan Stanley dagegen.
Die Zinsdebatte der Analysten entzündete sich an den wenigen Bemerkungen, die Duisenberg am Dienstag abend nach der Sitzung des EZB-Rates zur wirtschaftlichen Entwicklung in der Euro-Zone gemacht hatte. Statt um knapp 3 Prozent im laufenden Jahr werde das Bruttoinlandsprodukt 1999 wohl nur um 2,5 Prozent wachsen. „Die Risiken der Konjunkturprognose liegen eher auf der negativen denn auf der positiven Seite“, erklärte der EZB-Chef. Es sei sichtbar, daß die Asienkrise bei Unternehmern Vertrauen gekostet habe.
„Das war eine ganz andere Rhetorik als in den vergangenen Monaten“, sagte Alan Saunderson vom Finanzdienst Frankfurt Money Strategist. „Wenn die Konjunkturdaten bis zum 22. Dezember weitere Einbußen beim Vertrauen in die wirtschaftliche Entwicklung signalisieren, dürfte sich auch die Bundesbank einer Zinssenkung durch die EZB nicht mehr entgegenstellen.“ Am 22. Dezember wird der EZB- Rat voraussichtlich festlegen, mit welchem Zinssatz die Euro-Notenbank den ersten Wertpapier-Pensionssatz am 4. Januar 1999 ausschreiben wird. Bisher galt das aktuelle deutsche Zinssniveau von 3,3 Prozent als wahrscheinlichster Wert. Eine spätere Zinssenkung im ersten Quartal 1999 sei allerdings möglich, hatten viele Analysten erklärt.
„Es gibt wenig Grund für die EZB, in ihrer Zinspolitik vom aktuellen Niveau bei 3,3 Prozent abzuweichen“, schrieben die Finanzexperten von MMS, denn die aktuelle Geldmenge liege nahe dem von der EZB angepeilten Wert. Morgan-Stanley-Experte Fels erwartet dagegen, daß die EZB in ihrer zinspolitischen Diskussion volkswirtschaftliche Faktoren höher gewichten wird. „Die EZB nimmt die konjunkturelle Abschwächung stärker als bisher zur Kenntnis“, sagte er. Dafür, so andere Experten, spreche auch, daß Duisenberg vergangene Woche die Arbeitslosigkeit in Europa als „unakzeptabel hoch“ bezeichnet habe. Ähnlich hatte sich auch EZB-Chefvolkswirt Otmar Issing geäußert. Eine Zinssenkung im deutschen Alleingang gilt allerdings angesichts der ohnehin noch bestehenden großen Zinsunterschiede in Europa als praktisch ausgeschlossen. rtr
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