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„Ziemlich brutal, das Kind“

■ betr.: „Demokratie statt ,Anti‘“ von Cora Stephan, taz vom 9.10.93

In diesem Artikel zeigt sich wieder einmal, daß linksliberale Beschränktheit ebensowenig wie linksautoritäre in der Lage ist, komplexe Sachverhalte zu analysieren.

Ja, die Thälmann-KPD war antidemokratisch. Ja, sie kämpfte gegen das System; ja, Polizistenmorde waren inbegriffen. Ja, Antifaschismus war Propagandamittel und Kampfinstrument.

Nein, die Weimarer Republik war nicht „ein ziemlich häßliches Kind mit übergroßem Kopf und wackligen Beinchen“. Schon die Errichtung dieser Republik fand auf Leichenbergen statt, die Räteidee, sei es Berlin oder München, wurde 1919 in Blut ertränkt. Daß die Arbeiterbewegung, zugegeben nicht nur die revolutionäre, die Republik 1920 vor Lüttwitz, Erhardt, Kapp und Konsorten rettete, wurde ihr mit weiteren Blutbädern vergolten. Die „Demokratie“ hielt es auch nicht für notwendig, ihre eigenen Spielregeln einzuhalten. Die legal gewählten Regierungen Sachsens und Thüringens wurden 1923 durch die Reichswehr entmachtet. Ziemlich brutal, das Kind.

Wäre die KPD stalinistisch geworden, wären Luxemburg und Liebknecht nicht ermordet worden? Sollten die Opfer dieses Systems Sympathie für es empfinden? Ist das Aufkommen der zugegebenermaßen idiotischen Sozialfaschismuslinie so unverständlich angesichts des Verhaltens der SPD, die das Verbot der SA nicht durchsetzte, aber am 1. Mai 1929 31 wehrlose Arbeiter erschießen ließ? Sollte man Mielke vielleicht nicht lieber für seine Verfolgung von Antifaschisten in Spanien vor Gericht stellen als für den Mord an zwei Mitgliedern eines Terrororgans, von denen zumindest einer nachweislich an diesem Massaker beteiligt war? Die Erkenntnis schließlich, daß ein Antifaschist, der nur dies ist, keiner ist, ist nicht neu und wurde bekanntlich schon von Erich Fried formuliert. Diese Forderung gilt aber in gleichem Maße für eine Demokratie.

Eine Formaldemokratie, die für einen Teil ihrer Bevölkerung nur Elend und im Fall von Protest Blei übrig hat, findet schlimmer- aber verständlicherweise keine Verteidiger. Martin Schwarzbach, Buchholz

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