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Zerstörte Schutzgebiete in Kolumbien: Wenn die Quelle versiegt
Das Wasser für die Bewohner*innen in Kolumbiens Hauptstadt Bogotá kommt aus umliegenden Wäldern. Doch die fallen Landraub zum Opfer.
D er Parque Entrenubes im Süden von Bogotá gleicht einer offenen, staubigen Wunde. Wie gelbe Narben ziehen sich die provisorischen Wege über den braunschwarzen Kessel, aus dem vereinzelt noch verkohlte Bäume ragen. Auf der ausgebrannten Erde häufen sich abgehackte, ausgebleichte Äste und Gestrüpp. Was verloren ging, als die Eindringlinge kamen, sieht man, wenn man an den Rand dieser Mondlandschaft blickt. Dort zieht sich dunkelgrün und üppig der Wald den Berg bis zum Páramo Sumapaz hoch. Der Páramo ist die alpine Hochlandsteppe, in der ein Teil des Trinkwassers der kolumbianischen Hauptstadt entspringt.
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Doch die Wasserquelle ist in Gefahr. Schuld ist die Landmafia.
„Diese Verbrecher haben die Leute mit Bussen hierhergebracht“, sagt John Castiblanco von der Umweltschutz-Stiftung Red del Agua (Wasser-Netzwerk). „Dann fällten sie die Bäume. Und was sie nicht fällen konnten, brannten sie nieder. Wie die Fackelträger bei den Olympische Spielen sind sie hier herumgelaufen.“
Die Knochenarbeit erledigten die Ärmsten der Armen, mit Hacken, Macheten und Schaufeln: mindestens 400 kolumbianische Binnenflüchtlinge und Migrant*innen aus Venezuela.
Gefördert durch das European Journalism Centre (EJC) mit Unterstützung der Bill & Melinda Gates Foundation folgt die taz ein Jahr lang dem Wasser. Fünf taz-Korrespondentinnen recherchieren in Lateinamerika, Westasien, Südasien und in Afrika entlang des Nils. Denn vor allem im Globalen Süden gibt es zu wenig oder kein sauberes Wasser. Besonders Frauen müssen jeden Liter über weite Strecken nach Hause tragen. Der Zugang zu Wasser wird mit der Klimakrise verschärft. Immer öfter wird Wasser privatisiert oder steht im Konflikt mit Großprojekten, die Fortschritt bringen sollen. Mehr unter taz.de/wasser
Die Landräuber hatten ihnen ein Dach über dem Kopf versprochen. Denn wegen der monatelangen Coronaquarantäne konnten sie ihre Miete nicht mehr bezahlen und waren aus ihren Wohnungen geworfen worden. Männer mit Schusswaffen wiesen ihnen nun die Parzellen zu und sammelten das Geld ein. Umgerechnet 11 Euro für ein Grundstück, das in Deutschland für ein Gartenhaus reichen würde.
80.000 gefällte Bäume in wenigen Tagen
Als die Umweltbehörde nach ein paar Tagen mit Polizei und Armee kam, waren auf gut 18 Hektar schon 80.000 Bäume des hoch gefährdeten Anden-Hochwalds gefällt. Die Umweltbehörde ließ neun Menschen festnehmen und riss etwa 300 Hütten aus gefällten Stämmen, Plastikplanen und Blech wieder ab. Das war im Juni. Die Plastikbänder zum Abgrenzen, die Plateaus und der Müll sind immer noch dort.
„Sie haben die Arbeit von 20 Jahren Wiederaufforstung zerstört und Quellen verschüttet“, sagt Umweltschützer John Castiblanco. Der Mann mit langen schwarzen Haaren und Tätowierungen ist Künstler und einer der Anführer der Umweltbewegung in seinem Stadtteil. Es liegt in der Familie: Schon in dritter Generation setzen sich die Castiblancos für die Umwelt in ihrer Nachbarschaft ein. „Ich will das hier für meine Tochter bewahren“, sagt Castiblanco und deutet auf den Wald.
Ein Ortstermin für diese Recherche mit der Umweltbehörde des Distrikts Bogotá hat nicht geklappt: Man könne die Sicherheit nicht gewährleisten, antwortete der Pressesprecher nach Tagen. Doch John Castiblanco und sein Mitstreiter Camilo Montes vom Red del Agua führen regelmäßig Gruppen durch den Park, um ihnen die Natur vor ihrer Haustür zu zeigen, die sie oft noch nie betreten haben – und zuletzt, um Helfer*innen für Pflanzaktionen anzuwerben.
Oben an der Bergkante sind zwei winzige gelbe Punkte zu sehen. Das sind Polizisten, deren Schutz die beiden vor dem Besuch angefordert haben. Sollte den beiden Umweltschützern hier unten etwas passieren, kämen sie wohl kaum rechtzeitig. Kolumbien ist laut der Nichtregierungsorganisation Global Witness für Umweltschützer*innen das gefährlichste Land der Welt.
„Was im Parque Entrenubes passiert, ist ein Spiegelbild dessen, was in Kolumbiens Nationalparks passiert“, sagt Carolina Urretia. Sie leitet die Umweltbehörde des Distrikts Bogotá. „Wir hatten schon immer das Problem, dass sich Menschen illegal in den Schutzgebieten niedergelassen haben. Die Corona-Pandemie hat dieses Problem in ganz Bogotá verschärft.“ Was im Juni im Parque Entrenubes passierte, war der Höhepunkt.
Ihre Behörde habe das von Anfang an mitbekommen, versichert Urrutia. Doch handeln konnte sie erst mal nicht. Erstens war es ohne Polizeischutz zu gefährlich, weil dahinter „sehr reiche und mächtige Leute“ stecken. Zweitens hatte die Landmafia, die laut Urrutia eng mit dem Drogenhandel zusammenhängt, besonders verwundbare Gruppen unter falschen Versprechungen ins Schutzgebiet gekarrt, darunter Familien mit Kindern. „Wir können diese Menschen nicht einfach vertreiben, sondern müssen ihnen eine Lösung anbieten“, sagt Urrutia. Dafür mussten Wohn- und Sozialbehörde eingeschaltet werden. Das dauerte.
Río Bogotá, einer der dreckigsten Flüsse weltweit
Umso gravierender wurden die Schäden. Zwei der fünf Quellen, die im Park entspringen, befinden sich in diesem Teil des Schutzgebiets, sagt Reinaldo Gelvez, Sachgebietsleiter für Wasser- und Bodenressourcen in der Umweltbehörde. Sie speisen Bäche, die in den Río Tunjuelo fließen – den wasserreichsten Zufluss des Río Bogotá. Die Menschen in den illegalen Siedlungen verschmutzen mit Müll und mit Abwasser die Quellen im Parque Entrenubes.
In Bogotá kostet ein Liter Wasser im Schnitt 0,057 Cent. Doch wer wie viel für Wasser zahlt, hängt vom Wohnort ab: Wohngebiete sind in „estratos“ (Schichten) eingeteilt, von 1 (arm) bis 6 (reich). Dahinter steckt ein Solidaritätsgedanke: Wer in wohlhabenden Vierteln lebt, kann demnach mehr für öffentliche Dienstleistungen zahlen. So zahlen die Ärmsten in Kolumbiens Hauptstadt 0,017 Cent für einen Liter Wasser, die Reichsten 0,095 Cent. Auch der Grundpreis für Wasseranschluss und Abwasserentsorgung richtet sich danach: In den armen Vierteln zahlen Bewohner*innen 44 Cent, in den reichen Vierteln 4,05 Euro.
Zwar beziehen die Stadtwerke das Wasser für Bogotá nicht aus dem Parque Entrenubes, sondern viel weiter oben aus den Páramos. Aber die Zerstörungen, sagt Reinaldo Gelvez, gefährden das Mammutprojekt der Stadt, den Río Bogotá sauber zu bekommen, einen der dreckigsten Flüsse der Welt.
Wenn Quellen überbaut oder verschüttet werden, sucht sich das Wasser einen anderen Weg, nämlich in den Untergrund. Dadurch verändert sich die Verbindung zu Flora und Fauna, sagt Gelvez. Es entsteht Erosion, die Sedimente in die Quellen einbringt und diese weiter schädigt. Dadurch wird ein Teil des natürlichen Sauerstoffs im Wasser verbraucht. Ist die Vegetation weg, kommt es bei hohen Niederschlägen zu Sturzfluten.
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Vor allem zerstören die illegalen Siedlungen das fragile, unersetzliche Ökosystem des Hochandenwalds, ergänzt Natalia Ramírez, Abteilungsleiterin Ökosysteme und ländlicher Raum. Die Tier- und Pflanzenwelt dieser Übergangszone ist hoch sensibel. Die Veränderungen können Erdrutsche auslösen. Nicht zuletzt verschlechtern Eingriffe in das Ökosystem der Bergkette Cerros Orientales östlich von Bogotá die Luftqualität und erhöhen die Temperatur in der Stadt.
Nach Schätzungen der Stadtviertelregierung Usme war der Parque Entrenubes 1989 noch 1.400 Hektar groß. Heute sind es nur noch 623 Hektar, von denen ein kleiner Teil der Naherholung und Umweltbildung dient. Wenn es in diesem Tempo weitergeht, ist das größte Schutzgebiet im Süden der Stadt in etwa zehn Jahren verschwunden, warnt die Regierung.
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Bogotá ist Wildwuchs. Aus den unsicheren Regionen ziehen weiter Menschen in die Hauptstadt. „Aber in Bogotá ist kein Boden mehr verfügbar“, sagt Oscar López, der bis vor kurzem Abteilungsleiter in der Umweltbehörde war.
Von Bogotás 6.033 Vierteln waren 1.638, gut ein Viertel, ursprünglich illegal. Unter Enrique Peñalosa, Vorgänger der aktuellen Bürgermeisterin Claudía Lopez, wurde der Wohnraum von 16.000 Menschen nachträglich legalisiert und sie bekamen Wasser-, Kanal-, Strom-, Gas- und Telefonanschlüsse. Peñalosa ließ sich dafür feiern. Doch diese Vorgeschichte macht es schwer zu vermitteln, dass Verbote für immer gelten.
Mafia im Schutzgebiet
Am Rand des verkohlten Schutzgebiets haben sich schon vor zwölf Jahren indigene Huitoto aus der Amazonas-Region illegal niedergelassen. Sie waren vor der Guerilla geflohen. Ihre Siedlung aus Hütten mit Blechdächern und Plastikwänden krallt sich mit Hilfe von Sandsack-Plateaus in den steilen Berghang. Musik schallt übers Tal, auf manchen Hütten sitzen Satellitenschüsseln. Kinder spielen im Dreck. Müll türmt sich. Von oben gurgelt ein steter Fluss an Abwasser ins Schutzgebiet.
Das Wasser hat sich längst Kanäle ins Erdreich gebahnt. Wo keine Bäume mehr da sind, um sie festzuhalten, brechen immer mehr Schollen ab. Die Sonne brennt auf 2.600 Meter auf die nun nackte Erde und dörrt sie aus. Wenn es regnet, dringt das Wasser nicht mehr richtig in die verdichtete Erde ein. Dazu kommt der Wind, der ungebremst fegt.
Umweltschützer John Castiblanco kniet über einem handhohen Pflänzchen, das einmal ein Baum werden soll. Er freut sich über jeden Sprössling, der sich durch die ausgedörrte Erde kämpft. „Die Natur ist unglaublich widerstandsfähig“, sagt Castiblanco. Zusammen mit ehrenamtlichen Helfer*innen aus der Nachbarschaft haben er und seine Mitstreiter*innen bereits 700 Bäume gepflanzt. „Etwa 44.000 sind nötig, um den zerstörten Wald wieder aufzuforsten“, sagt er. Dann deutet er auf eine Stelle, wo sich Eindringlinge seit seinem letzten Besuch zu schaffen gemacht haben. Das geknickte Pflänzchen richtet er behutsam auf.
Immer wieder werfen die beiden Männer vom Wasser-Netzwerk einen Blick zurück und nach oben. An der Kante des Bergs ziehen sich immer mehr bunte Punkte zusammen. „Sie beobachten uns genau“, sagt Castiblanco und rät dem Fotografen, die Kamera nicht nach oben zu richten. Sie – das sind wohl Menschen, die in dem illegalen Slum am Hang schon leben, wohl auch Spitzel der Mafia und womöglich Mitglieder bewaffneter Banden.
Pssst, sagt er auf einmal. Unterhalb, wo sich taz-Fotograf Andrés BO und Camilo Montes mit dem Hund befinden, nähern sich drei Männer, die Hand bedrohlich an ihren Macheten. John Castiblanco geht schnell auf sie zu und erklärt, dass er und der Kollege von einer Stiftung seien, nicht von der Stadt, und die beiden anderen von der ausländischen Presse. Die Körperhaltung der Männer entspannt sich. Sie wohnen oben in der Huitoto-Siedlung, sagen sie. Einer von ihnen stammt vom Amazonas, einer aus der Region Tolima und der dritte aus Venezuela. „Ihr könnt hier nicht weitergehen“, sagt der eine. Hinter der Kurve seien Männer mit Schusswaffen.
Natalia Ramírez, Umweltbehörde
Genau von hinter der Kurve waren sie selbst gekommen. Zwei von ihnen tragen einen entasteten Stamm. 20.000 Pesos, weniger als fünf Euro bringe der ihnen im Verkauf ein. Der Baum sei schon gefällt gewesen, als sie ihn fanden. Schlimm sei, was hier passiert sei, sagen sie. Von den Bränden hätten sie nichts mitbekommen. Sie selbst hätten in der Nähe ihrer Siedlung 300 Bäume gepflanzt, um die Natur zu schützen.
„Oh Gott, mein Herz flattert immer noch wie ein Vögelchen“, sagt Castiblanco, als die Männer verschwunden sind. Er muss sich erst einmal beruhigen. Alles gelogen, sagt er. „Sie wollten einfach nicht, dass wir weitergehen.“ Hinter dem Hügel zieht eine dunkle Rauchsäule hoch, es riecht nach Eukalyptus. Der Raubbau geht weiter, auch ohne Landmafia von außerhalb.
„Ein hochandines Waldgebiet mit diesen besonderen Charakteristika aufzuforsten, dauert Jahrzehnte – und das Ergebnis wird nie wieder sein, wie es einmal war“, sagt Natalia Ramírez von der Umweltbehörde. „Allein ein Schopfrosettenbäumchen braucht 35 bis 50 Jahre – es wächst nur einen Zentimeter pro Jahr.“
Die Instandsetzung koste in drei Jahren pro Hektar 60 bis 70 Millionen Pesos (13.300 bis 15.600 Euro) – und die Restauration dauere 15 bis 20 Jahre. „Derzeit haben wir das Ziel, 5 Hektar zu renaturieren“, sagt Ramírez – von 18 Hektar. Für diese Fläche sei Geld da, um den Bereich zu überwachen. Die Sicherheitsbehörde, die Wohnbehörde sowie die Sozialbehörde seien zur Überwachung permanent vor Ort. Seit zwei Wochen habe es keine weiteren Invasionen gegeben. Beides Aussagen, die John Castiblanco vom Wasser-Netzwerk verneint.
Kolumbien gehört laut Weltbank zu den neun wasserreichsten Ländern der Welt. Die Hälfte der Páramos genannten Hochtundren der Welt befinden sich hier: Die natürlichen Trinkwasserreservoirs liegen auf 3.500 und 5.000 Metern über dem Meeresspiegel. Das größte ist der Páramo Sumapaz, der sich vom Hauptstadtdistrikt Bogotá bis in die Nachbarregion Cundinamarca erstreckt.
Trotzdem führt der Klimawandel zu immer extremeren Dürren und Überschwemmungen in Kolumbien, wo es neben tropischen Wäldern und Gebirgen auch Wüstenregionen gibt. Während in La Guajira im Nordosten indigene Gemeinschaften auf Tankwagen mit Wasser warten und Kinder an Trinkwassermangel sterben, stehen im Chocó im Nordwesten oft ganze Dörfer unter Wasser. Die Wetterphänomene El Niño und La Niña fallen immer heftiger aus.
In ganz Kolumbien haben 73 Prozent der Menschen Zugang zu sauberem Wasser – aber in ländlichen Gegenden nur 40 Prozent. Doch auch ein Drittel der urbanen Bevölkerung hat bereits Wasserprobleme. Eine sichere Abwasserentsorgung haben laut Weltbank nur 17 Prozent. Verschmutzungen, etwa durch Landwirtschaft und Bergbau, verschärfen die Lage zusätzlich.
Das Schutzgebiet Tag und Nacht durch Polizei oder Armee bewachen zu lassen, kommt für Carolina Urrutia, die Leiterin der Umweltbehörde, nicht infrage: „Eine Militarisierung bringt nur noch mehr Probleme und Gewalt. Wir brauchen einen Kulturwandel.“ Die Menschen in der Nachbarschaft müssten sich das Schutzgebiet aneignen. „Sie dürfen nicht denken, dass das Niemandsland ist, sondern ihres. Dann verteidigen sie es und informieren uns auch, wenn es bedroht ist.“
Ähnlich sieht es auch John Castiblanco: „Der Staat muss den Menschen endlich ein Dach über dem Kopf garantieren und sichere Arbeit. Und man muss ihnen von klein auf Liebe und Respekt der Natur einpflanzen.“
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