Zerstörte AKW in Japan: Neue nukleare Trümmer in Fukushima

Die Hauptzugänge zu zwei der 2011 havarierten Reaktoren sind viel höher radioaktiv kontaminiert als gedacht. Das behindert die Stilllegung.

Speichertanks mit verstrahltem Wasser

Fukushima Daiichi im Jahr 2020, in den Tanks lagert radioaktives Wasser Foto: Reuters/AARON SHELDRICK

TOKIO taz | Die japanische Atomaufsichtsbehörde NRA hat extrem hohe Radioaktivitätswerte an den Stahlbetondeckeln von zwei Reaktoren im Atomkraftwerk Fukushima Daiichi entdeckt. „Es sieht so aus, als ob an diesen Stellen nukleare Trümmer sitzen“, berichtete NRA-Chef Toyoshi Fuketa. Diese Funde würden sich massiv auf den gesamten Prozess der Stilllegung der drei havarierten Reaktoren auswirken, warnte der oberste Atomaufseher. Im März 2011 hatte ein Erdbeben vor der Pazifikküste Japans einen gewaltigen Tsunami ausgelöst, bei dem 18.500 Menschen starben und die Kernschmelzen in Fukushima Daiichi ausgelöst wurden.

Zehn Jahre später soll im kommenden März der Fackellauf vor den Olympischen Spielen in Tokio in der Präfektur Fukushima starten. Dies soll der Welt Normalität suggerieren. Doch an der Atomruine ist längst nicht wieder alles normal. Konkret hat die Atombehörde eine Strahlung von jeweils 10 Sievert pro Stunde an den Deckeln von Reaktor 2 und 3 gemessen.

Laut NRA ist radioaktives Caesium-137 mit einer Aktivitätsmenge von 20 bis 40 Peta-Becquerel in den Zwischenraum zwischen der zweiten und dritten, jeweils 60 Zentimeter dicken Deckelschicht von Reaktor 2 eingedrungen. An dem Dreifachdeckel von Reaktor 3 wurden 30 Peta-Becquerel gemessen. Ein Mensch kann diese hohe Strahlung maximal eine Stunde überleben. Ein japanischer AKW-Arbeiter darf eine maximale Dosis von 50 Milli-Sievert im Jahr ansammeln, also 200-mal weniger.

Die Fukushima-Katastrophe setzte vor allem Caesium-137 frei, ein Nebenprodukt der Kernspaltung. Als wegen Stromausfall die Kühlung der drei Atommeiler stoppte, schmolz zunächst jeweils der Reaktorkern mit seinen Uran-Brennstäben. Diese heiße Masse, Corium genannt, fraß sich durch den Boden des Druckbehälters und lief in den Sicherheitsbehälter, auf dem der Betondeckel sitzt. Bei Reaktor 1 öffnete sich der Deckel, der als letztes Schutzschild gegen den Austritt von strahlendem Material dient. Eine Wasserstoffexplosion verteilte das ausgetretene Caesium in der Umgebung. Bei Reaktor 2 und 3 blieb der Deckel geschlossen, daran setzten sich offenbar große Mengen Caesium fest.

Doch diese Tatsache hat zur Folge, dass sich der geschmolzene Brennstoff noch schwerer bergen lässt als ohnehin gedacht. Denn beim bisher favorisierten Vorgehen wollte man das Innere der Reaktoren fluten – das Wasser dämpft die Strahlung – und dann die Betondeckel abheben. Darüber sitzt im Normalbetrieb eine Lademaschine, mit der sich von oben die Brennelemente im Reaktorkern wechseln und Wartungsarbeiten ausführen lassen. Stattdessen würde man von dort nun das Corium bergen. Doch diese Methode lässt sich kaum noch umsetzen, wenn die Betondeckel selbst stark strahlen – der einzige Direktzugang ist nun hochkontaminiert. Die Ingenieure müssten jetzt lange warten, da Caesium eine Halbwertszeit von dreißig Jahren hat.

Der AKW-Betreiber Tepco und die japanische Regierung wollten eigentlich mit der Corium-Bergung binnen einem Jahrzehnt beginnen. Davon ist man jedoch weit entfernt. Aber wenigstens wollte man vor dem zehnten Jahrestag im März einige Gramm dieses Materials aus Reaktor 2 bergen. Doch der dafür erforderliche Robotergreifarm, der in Großbritannien entwickelt wird, ist wegen der Coronapandemie nicht fertig geworden. Daher hatte Tepco bereits vor zehn Tagen erklärt, dass das Bergungs­experiment auf 2022 verschoben wird.

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