■ Kein Grund zur Beruhigung: Zerrspiegel bei Mieten
Daß die gestern vorgestellten Zahlen des neuen Mietspiegels auf den ersten Blick weniger dramatisch anmuten, als man vielleicht erwartet hätte, kann nicht beruhigen. Noch immer nämlich erweist sich der relativ preisgünstige lange vermietete Wohnungsbestand als ungewollte Notbremse für eine Entwicklung, die in anderen Wohnungssparten längst aus den Fugen geraten ist. Bis zu 40 Prozent verteuerten sich binnen zwei Jahren vor allem modernisierte Altbauwohnungen sowie Ein- oder Zwei-Zimmer-Bleiben. Sie sind aufgrund ihrer Ausstattung einer größeren Fluktuation unterworfen als die seit vierzig Jahren vermietete Charlottenburger Altbauwohnung. In beiden Fällen wird deutlich: der Mietspiegel für diese Wohnungen orientiert sich weniger am Bestand als vielmehr an den Forderungen der Eigentümer. Da hilft auch der Hinweis auf die vergleichsweise billigeren Durchschnittsmieten in anderen Städten nicht mehr. Im Gegenteil: Es ist Augenwischerei, wenn man unterschlägt, daß die Preise für Neuvermietungen in Berlin längst jene in München oder Hamburg überholt haben und sich daher die Mieten privatmodernisierter Wohnungen in Kreuzberg, Schöneberg, Schwabing oder Altona nicht viel nehmen. Augenfällig wird aber auch, daß sich die Berliner im Westteil der Stadt nunmehr daran gewöhnen müssen, daß jede Wohnung unter 10 Mark Kaltmiete pro Quadratmeter schon fast einem Lottogewinn gleichkommt. Von billigem Wohnraum kann keine Rede mehr sein, ebensowenig wie von einer Entsprechung des Mietanstiegs bei den Einkommen. Gerade hier aber wäre ein „Spiegel“ am allernötigsten: Kappungsgrenze für die Bestverdiener, Anstieg bei den unteren Einkommensklassen bis zum Mittelwert, und das alles so lange, bis auch bei den bislang schlecht Verdienenden ein sozialer Mindestwert erreicht ist, der für Großverdiener schon lange gilt: ein Anteil der Miete am Einkommen von höchsten 15 Prozent. Uwe Rada
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen