piwik no script img

Zentralbank leitet Zinswende einEZB sagt Inflation den Kampf an

Die Europäische Zentralbank plant die erste Leitzinserhöhung seit elf Jahren. Ein Ende der historisch hohen Geldentwertung erwartet sie 2024.

Hier wurde die Zinswende erdacht: EZB-Zentrale in Frankfurt Foto: Frank Rumpenhorst/dpa

Diesel kostet eine gute Woche nach Einführung des Tankrabatts wieder mehr als 2 Euro im bundesweiten Tagesdurchschnitt. Der ADAC vermeldete am Donnerstag einen Durchschnittspreis von 2,007 Euro pro Liter. Damit droht die insgesamt gut 3,1 Milliarden Euro teure Steuersenkung für Diesel und Benzin in den Taschen weniger Ölkonzerne zu verpuffen.

Was die Bundesregierung nicht schafft, geht nun die Europäische Zentralbank (EZB) an: Ein Abbremsen der Rekordinflation hatte EZB-Präsidentin Christine Lagarde im Blick, als sie am Donnerstag in Amsterdam nicht weniger als die Zinswende ankündigte.

Nach elf Jahren sollen die Leitzinsen im Euroraum zum ersten Mal wieder angehoben werden. Laut Lagarde sollen sie im Juli von derzeit 0 um 0,25 Prozentpunkte steigen, im September ist eine möglicherweise auch höhere Anhebung geplant. Wahrscheinlich auch im September sollen die Negativzinsen enden, die Banken für geparkte Gelder bei der EZB zahlen müssen. Zugleich beschloss der EZB-Rat bei seiner Sitzung in Amsterdam, die milliardenschweren Netto-Anleihenkäufe zum 1. Juli zu stoppen, die bislang Unternehmen billiges Geld zur Verfügung stellten, um Investitionen anzukurbeln.

Grund ist die historisch hohe Inflation: Im Euroraum lagen die Verbraucherpreise im Mai um 8,1 Prozent höher als ein Jahr zuvor, in Deutschland sprang die jährliche Inflationsrate mit 7,9 Prozent gar auf den höchsten Stand seit fast 50 Jahren. Die US-Notenbank Fed hatte bereits vor drei Monaten die Leitzinsen erhöht.

Das große EZB-Experiment

Deshalb geht nun die Ära ultrabilligen Geldes zu Ende, mit dem die EZB nach der Eurokrise die Konjunktur in Europa gestützt hat. Jahrelang profitierten Börsianer, Immobilienbesitzer und Wohlhabende von Niedrigzinsen und der Geldschwemme großer Notenbanken. Sparer dagegen bekamen nichts mehr für ihre Guthaben – oder mussten sogar Verwahr­entgelte zahlen.

Für Kreditnehmer, die etwa in Maschinen oder Immobilien investieren wollen, wird es dagegen teurer. Banken und Sparkassen dürften steigende Zinsen an Kreditnehmer zügig weiterreichen. Diese Zinserhöhungen erhöhen die Kosten für Kredite – und bremsen so die Nachfrage. Darin liegt auch die große Gefahr des EZB-Experiments „Zinswende“: dass die Konjunktur abgewürgt wird und die Eurozone möglicherweise in eine Stagflation schlittert. So nennen ÖkonomInnen einen Mix aus Stagnation und Inflation, also steigende Preise plus Flaute.

Das Risiko der EZB ist hoch: Möglicherweise kann sie gar nichts gegen die höchsten Inflationsraten seit fast 50 Jahren tun, weil der Krieg in der Ukrai­ne, die weltweiten Lieferkettenprobleme oder Lockdowns wegen eines erneuten Aufflammens der Coronapandemie die wirtschaftliche Situation massiv verändern. Beispiel: Gegen die seit dem Beginn des Ukraine-Kriegs stark steigenden Energiepreise – im Mai lagen sie in der Eurozone fast 40 Prozent höher als ein Jahr zuvor – sind Europas Währungshüter weitgehend machtlos.

Immerhin können sie dazu beitragen, dass sich die Teuerungsrate nicht dauerhaft auf hohem Niveau festsetzt. Wenn sich die Inflationserwartungen verfestigten, „dann frisst sich das in andere Preise ein“, hatte Bundesbankpräsident Joachim Nagel gewarnt.

Was tun gegen die Lohn-Preis-Spirale?

Sorgen bereiten den Notenbankern mögliche Zweitrundeneffekte (wenn Händler Energiekosten auf ihre Produkte aufschlagen) sowie die sogenannte Lohn-Preis-Spirale. Steigen die Löhne als Reaktion auf die hohe Inflation zu stark, könnte das Preise weiter nach oben treiben, weil Unternehmen gestiegene Löhne als Rechtfertigung für Preiserhöhungen nutzen. Löhne und Preise schaukeln sich dann gegenseitig hoch. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat in diesem Zusammenhang eine „konzertierte Aktion“ angekündigt, also Gespräche mit Arbeitgebern und Gewerkschaften. Ein heikles Unterfangen, da in Deutschland die Tarifautonomie, also das Verhandeln von Löhnen ohne staatliche Eingriffe, einen verfassungsrechtlich garantierten hohen Stellenwert hat.

„Es ist kein einzelner Schritt, wir begeben uns auf eine Reise, um die Inflation wieder auf die Zielmarke von 2 Prozent zu bringen“, sagte Lagarde. Erst im Jahr 2024 soll die von der EZB gewünschte „Zielinflation“ erreicht werden.

Die Ampelkoalition denkt zwar nach dem offenbar fehlgeschlagenen Tankrabatt über weitere Entlastungen nach, aber Ökonomen sind in Sorge, die Geldentwertung werde die soziale Schere weiter öffnen. Immerhin ist die Ungleichheit bei den Löhnen in Deutschland deutlich gesunken. Der obere Rand der Lohnskala habe 2020 monatlich gut das 4-Fache des unteren Segmentes verdient, 2011 war es noch das 11-Fache, zeigt eine Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW).

Ein Grund für die Entwicklung: der gesetzliche Mindestlohn seit 2015. Die Inflation werde wohl weiter zu realen Einkommensverlusten verführen, sagte DIW-Studienleiter Markus Grabka.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Auch in der taz wurden Stimmen, die vor den Inflationsfolgen der lockeren Geldpolitik gewarnt hatten, von den meist linken modern monetary theory Vertretern als 'ewiggestrige', weisse alte Ökonomen dargestellt.



    Wo sind all die Stimmen jetzt, wie gesagt haben, dass es heutzutage Inflation gar nicht mehr geben könne, und das ist am sozialsten sei die Geldpressen weiter heiß laufen zu lassen?

    • @Emmo:

      Sie bringen da etwas durcheinander. Die aktuelle Inflation ist durch die steigenden Energiepreise getrieben, die wiederum eine Folge des Ukrainekrieges sind (und Corona) .



      Die Inflation ist dagegen nicht Folge der lockeren Geldpolitik der EZB. Hat diese doch versucht mit ihrer lockeren Geldpolitik, die Inflation auf 2% zu heben, wie alle wissen, hat das nicht funktioniert.



      Jetzt ein extern getriebener Anstieg der Inflation, da kann eine interne Zinserhöhung nicht helfen, die eurorauminternen Wirkmechanismen werden bremsen, die Wirkung auf die externen Faktoren sind gleich null.



      Energie wird so nicht billiger, ergo die Produktionskosten nicht sinken, ergo die Preise auch nicht.



      Die Wirtschaft ist momentan nicht heißgelaufen, eher das Gegenteil. Es ist ein Experiment, das auf die Psyche der Marktteilnehmer zielt, seht wir tun was, mal sehen, ob das wirkt. Falls nicht würgen wir die Produktion ab und haben gleich hohe oder noch höhere Preise...



      Es ist in der Tat ein Dilemma, hat doch die EZB aktuell keinen Handlungspielraum, um die Wirtschaft anzukurbeln, (Zinssenkungen haben ja nicht geholfen) und die Inflation zu senken (da extern getrieben). Was vorher geholfen hätte ,wäre die Exportorientierung von D zu bremsen, die niedrigen Löhne in D anzuheben und die Binnennachfrage zu stärken, doch alles was jetzt die Wirtschaft ankurbelt heizt die Inflation weiter an, davon abgesehen, dass es keinen politischen Wille zu echter sozialer Wirtschaftpolitik gäbe...

      • @nutzer:

        Danke für die ausführliche Antwort! Ich schätze das sehr.