Zentralafrikanische Republik: Milizenführer in Haft
Patrice-Edouard Ngaïssona wird in Paris auf Betreiben des Internationalen Strafgerichtshofs geschnappt. Er koordinierte antimuslimische Milizen.
Ngaïssona war einst der oberste Koordinator der Anti-Balaka-Milizenkoalition in der Zentralafrikanischen Republik, die während des Bürgerkrieges 2013-14 für Massaker an Tausenden von Muslimen verantwortlich war. Die Ankläger des IStGH werfen ihm in diesem Zusammenhang Verantwortung Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Form von „ausgedehnten und systematischen Angriffen gegen die muslimische Zivilbevölkerung und jeden, der als Unterstützer der Seleka (muslimische Rebellenkoalition, d.Red.) angesehen wurde“ vor.
Er kann nun einem ehemaligen Anti-Balaka-Kommandanten, dem schillernden Ex-Parlamentarier Alfred „Rambo“ Yekatom, in Den Haag Gesellschaft leisten. Der war am 29. Oktober im zentralafrikanischen Parlament in der Hauptstadt Bangui festgenomen worden, als er im Plenarsaal mit seinem Revolver das Feuer eröffnet hatte, und wurde am 17. November nach Den Haag überstellt.
Die Karriere Ngaïssonas ist nicht minder abenteuerlich wie die Yekatoms. Er stieg in der Politik von Bangui nach dem Militärputsch von Francois Bozizé im Jahr 2003 auf – Bozizé regierte das Land bis zu seinem Sturz durch die muslimische Rebellenallianz Seleka zehn Jahre später. Zuletzt war er Bozizés Minister für Jugend und Sport sowie Präsident des zentralafrikanischen Fußballverbandes.
Vom Fußball zum Massaker und zurück
Wie viele andere Größen des Bozizé-Regimes rettete sich Ngaïssona nach der Seleka-Machtergreifung im März 2013 in das Nachbarland Kamerun und sammelte dort versprengte Armeesoldaten, die in verschiedenen Milizen mit dem Sammelbegriff Anti-Balaka organisiert wurden. Die gingen Ende 2013 zum Großangriff in Bangui über, was schwere Kämpfe, eine französische Militärintervention und die Tötung oder Vertreibung fast aller Muslime der Zentralafrikanischen Republik nach sich zog.
Im Februar 2014 entging er knapp der Festnahme in Bangui; im April kam er doch hinter Gitter, wurde aber wieder freigelassen und versuchte 2015 erfolglos, zu den Präsidentschaftswahlen zu kandidieren.
Danach besann er sich auf seine Sportkarriere und sorgte erneut für Wirbel. Mitte 2017 wurde er zum Präsidenten des regionalen Fußballverbandes der Staaten des zentralen Afrikas gewählt, dieses Jahr setzte er sich bei einer Kampfabstammung gegen einen altgedienten Funktionär aus Kamerun durch und stieg in den Vorstand des afrikanischen Fußballverbandes CAF auf, Afrikas Gegenstück zur UEFA. Das sorgte für Stirnrunzeln in Sportkreisen. Er lebte zuletzt in Paris, wo seine Familie seit langem ansässig ist.
Mit Yekatom und Ngaïssona sind nun zwei mutmaßliche Kriegsverbrecher aus der Zentralafrikanischen Republik beim Internationalen Strafgerichtshof in Haft. Wann Prozesse beginnen werden, steht noch nicht fest. Erst müssen Anklageschriften verfasst werden und eine Vorverfahrenskammer die Zulässigkeit der Anklage bestätigen – das kann Jahre dauern.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Netzgebühren für Unternehmen
Habeck will Stromkosten senken