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Zensur in VietnamHanois Justiz klagt in Berlin lebenden Chefredakteur an

Der in Berlin unter Polizeischutz stehende Journalist Trung Khoa Lê wird in Vietnam wegen „Untergrabung der sozialistischen Ordnung“ angeklagt.

Der Journalist Trung Khoa Lê 2022 in Berlin Foto: Hanna Wiedemann

Aus Berlin

Alexandra Wagner

Vietnams autoritäre Regierung geht jetzt auch mit Hilfe der ihr hörigen Justiz gegen das regierungskritische Berliner Onlinemedium Thoibao („Die Zeit“) vor. Gegen Thoibaos Gründer, Besitzer und Chefredakteur, den deutsch-vietnamesischen Journalisten Trung Khoa Lê, ist am Dienstag laut Berichten zahlreicher Staatsmedien in Hanoi Anklage erhoben worden.

„Das Ministerium für öffentliche Sicherheit gab bekannt, dass Le Trung Khoa wegen der Herstellung, Speicherung, Verbreitung und Propagierung von Informationen, Dokumenten und Gegenständen angeklagt wurde, die darauf abzielen, den Staat zu untergraben“, heißt es etwa auf der vietnamesischsprachigen Webseite von Vietnam Express. Die Oberste Volksstaatswaltschaft habe die Anklage laut Artikel 117 des Strafgesetzbuches („Untergrabung der sozialistischen Ordnung“) genehmigt. Es droht eine Haftstrafe zwischen ein und fünf Jahren.

Der 53-jährige Lê, der seit den 1990er Jahren in Deutschland lebt und neben der vietnamesischen auch die deutsche Staatsbürgerschaft hat, steht in Berlin wegen wiederholter Bedrohungen bereits seit einigen Jahren unter Polizeischutz.

„Ich bin dankbar, in einem Rechtstaat zu leben, der die freie Ausübung journalistischer Tätigkeit in seiner Verfassung verankert hat. Ich bin dankbar, dass die Bundesregierung derzeit keine Menschen nach Vietnam ausliefert“, erklärte er in Reaktion auf die Anklage.

Kein Auslieferungsabkommen mit Hanoi

Deutschland hat kein Auslieferungsabkommen mit Vietnam und liefert in der Regel auch keine Staatsbürger aus. Doch neben Lê ist auch sein freier Mitarbeiter Don Van Nga angeklagt. Der 48-Jährige sitzt laut Lê bereits seit rund zehn Tagen in vietnamesischer Haft. Er arbeitete vom Thailand Exil aus für Thoibao und war in sein Geburtsland gereist, weil er nur dort die Gültigkeit seines Reisepasses verlängern konnte. Es ist zu befürchten, dass er in einem Schauprozess unter Druck gesetzt wird, um Lê und Thoibao zu belasten.

Lê fordert die Freilassung von Don Van Nga. Der habe nur sein Recht auf freie Meinungsäußerung wahrgenommen. Das erkennt das Regime in Hanoi allerdings nicht an. In der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen steht Vietnam auf Platz 173 von 180 Staaten.

Weil Vietnams zensierte Medien wenig Glaubwürdigkeit haben, ist Facebook – wo Thoibao hauptsächlich publiziert und seine Einnahmen generiert – in dem südostasiatischen Land zur Hauptinformationsquelle geworden. Doch wird auch Facebook mittlerweile von Hanois Cyberpolizei mit Duldung des Meta-Konzerns zensiert.

Lê fordert von der Bundesregierung, sich für seinen Mitarbeiter einzusetzen. Er selbst fühlt sich von der drohenden Haftstrafe nach eigenen Worten „erst einmal“ nicht betroffen, „es sei denn, ich werde wie 2017 Trinh Xuan Thanh nach Vietnam entführt“.

Mögliche Entführung als Damoklesschwert

Der Entführungsfall erklärt zum Teil auch, warum das vietnamesische Regime gegen Lê vorgeht, der gute Kontakte in den Staats- und Parteiapparat hat. Der Wirtschaftskader Trinh Xuan Thanh hatte 2017 in Berlin Asyl beantragt, nachdem er in der Heimat in einem mit Korruption verbundenen Machtkampf in Ungnade gefallen war.

Er wurde von Berlin aus über Bratislava und Moskau nach Hanoi entführt und dort zu „zweimal lebenslänglich“ verurteilt. Lê berichtete damals weltweit als Erster über die Entführung, die über Jahre die Beziehungen zwischen Berlin und Hanoi belastete.

Auftraggeber der Entführung war laut Urteil des Berliner Landgerichts von 2018 Vietnams heute mächtiger KP-Chef Tô Lâm, der damals Minister für öffentliche Sicherheit war und dessen früheres Ministerium jetzt Lê und seinen Mitarbeiter verklagt hat. Diese Anklage erfolgt, nur zwei Wochen nachdem das Berliner Landgericht eine Einschüchterungsklage von Vietnams reichstem Milliardär und dessen Autokonzern Vinfast gegen Lê und Thoibao in wichtigen Punkten zurückgewiesen hat.

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