Zensur der Presse in Belarus: Das Lager der Extremisten

Die Machthaber wollen das Infoportal TUT.BY als extremistisch einstufen. Janka Belarus erzählt vom Leben in Minsk in stürmischen Zeiten. Folge 92.

Portrait von Alexander Lukaschenko

TUT.BY hat auch Interviews mit hohen Staatsbeamten publiziert, darunter auch mit Lukaschenko Foto: Vasily Fedosenko/reuters

Das Innenministerium fordert, dass alle Beiträge des Nachrichtenportals TUT.BY (eine der beliebtesten unabhängigen Informationswebsites in Belarus, Anm. d. Redaktion) als extremistisch eingestuft werden, um damit den Zugang zu diesen Beiträgen zu begrenzen. Und zwar sowohl die Beiträge auf der Website selber als auch auf allen Profilen in den sozialen Netzwerken.

Das Ministerium ist der Meinung, dass die Nachrichten und Informationen von TUT.BY den nationalen Interessen und der nationalen Sicherheit von Belarus schaden.

Auf Bitte des Ministeriums hat die Republikanische Experten-Kommission (von deren Existenz und Zusammensetzung kein Belarusse bislang überhaupt wusste) die Publikationen von TUT.BY bewertet und ist zu der Einschätzung gekommen, dass dort „linguistische Anzeichen von Spott und Beleidigung enthalten sind, eine negative Einschätzung der Arbeit von Alexander Lukaschenko, von Vertretern staatlicher Macht sowie einzelner Personengruppen verschiedener Berufe.“

Записи из дневника на русском языке можно найти здесь.

Jetzt wissen wir, dass die bösen Gangster von TUT.BY die Strategie und Taktik der Diskreditierung von Menschen, die an der Protestbewegung gegen die aktuelle Regierung teilgenommen haben, perfekt umgesetzt haben und die soziale Feindschaft schüren wie anständige gesetzestreue Bürger das Grillfeuer abends in ihrem Garten.

Zwischen Burnout, Schock und Müdigkeit

Und das sagten die „Übeltäter“ selbst zu ihrer Verteidigung: „Die Idee, Beiträge als extremistisch einzustufen, zerstört nicht nur die Arbeit von Journalisten und des ganzen Unternehmens. Es ist im Wesentlichen der Versuch, die Geschichte des Landes zu löschen, über die die Journalisten von TUT.BY in den letzten zwanzig Jahren geschrieben haben. Und alles, was auf unserem Portal gesagt oder geschrieben wurde, indem man alles als illegal deklariert, was zu Diskussionen und Informationsverbreitung beiträgt.“

Alle Beiträge von TUT.BY – Artikel, Bilder und Videos – wurden unzählige Male zitiert und in belarussischen und ausländischen Medien nachgedruckt und gezeigt. Wie will man es schaffen, alle Feeds anderer Nachrichtenkanäle, Agenturen und TV-Sender zu „bereinigen“? Und schließlich hat TUT.BY auch Interviews mit hohen Staatsbeamten publiziert, darunter auch mit Alexander Lukaschenko. Gelten diese Interview dann auch als extremistisch?

Es besteht darüber hinaus noch eine weitere Gefahr: Viele Menschen haben nach dem Lesen die Beiträge des Nachrichtenportals geteilt. Im Falle eines positiven Gerichtsbeschlusses nach gängiger Praxis ist jeder dieser Bürger wegen der Verbreitung verbotener Informationen bedroht. Ganz unabhängig davon, ob diese Beiträge oder Zitate schon vor vielen Jahren und auf persönlichen Profilen in den sozialen Medien veröffentlicht wurden. So kann man dann quasi unter dem Vorwand „Extremismus“ Menschen dafür verurteilen, dass sie ihre Lieblingstexte von TUT.BY öffentlich geteilt haben.

Ich kenne als Journalistin viele der Kollegen, die bei diesem Portal arbeiten, persönlich. Die schon Hausdurchsuchungen und die Verhaftung ihrer gesamten Chefetage erlebt und faktisch ohne rechtskräftige Kündigung ihren Job verloren haben, und sich jetzt nach all diesen Ereignissen in einem Zustand zwischen Burnout, Schock und Müdigkeit befinden.

Ich fungiere als „Gratis-Therapeutin“ von Lena (Name auf ihren Wunsch geändert), ich hören ihren Monologen zu und versuche, sie mit Witzen aufzumuntern. Sie weiß nicht, ob sie überhaupt noch weiter als Journalistin arbeiten möchte. Sie sagt: „Wenn ich nicht Hungers sterben will, werde ich in der nächsten Zeit nur noch das essen, was ich in meinem eigenen Garten anbaue und meine Kinder schicke ich auf den Markt, um überschüssige Erdbeeren zu verkaufen. Meine Marketingstrategie besteht darin, dass man Kindern aus Mitleid mehr Geld gibt.

Ich versuche außerdem gerade, meine angespannten Nerven durch Kreativität zu beruhigen. Ich bastele Deko-Objekte zur Verschönerung meiner Wohnung. Neulich hab' ich mal in den sozialen Medien ‚rumgefragt, ob jemand so etwas gegen Bargeld kaufen würde. Und stell dir vor, man hat mir sogar Summen genannt, die man mir für meine Basteleien zahlen würde. Das war eine angenehme Überraschung. Ich komm‘ schon irgendwie durch.“

Aus dem Russischen Gaby Coldewey

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ist 45 Jahre alt und lebt und arbeitet in Minsk. Das Lebensmotto: Ich mag es zu beobachten, zuzuhören, zu fühlen, zu berühren und zu riechen. Über Themen schreiben, die provozieren. Wegen der aktuellen Situation erscheinen Belarus' Beiträge unter Pseudonym.

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